Die Schweizer Klimastreikbewegung fordert die Kandidatinnen und Kandidaten vor den nationalen Wahlen auf, ihre Haltung zu den Forderungen der Bewegung zu deklarieren. Sie können Vorschläge zur Erfüllung der Forderungen der Bewegung machen. Die Stellungnahmen der Kandidat*innen sind ernüchternd.
In einer Serie von Beiträgen gibt es eigene Vorschläge, die, wenn umgesetzt, die Forderungen der Klimastreikbewegung erfüllen würden. Im Hauptteil dieses Beitrags werden Lösungsansätze diskutiert.
Dies ist der erste Beitrag einer Serie von fünf Beiträgen darüber, wie die Forderungen der Klimastreikbewegung erfüllt werden könnten.
Es wäre zu erwarten, dass die Kandidat*innen die Gelegenheit nutzen und öffentlich aufzeigen, mit welchen politischen Massnahmen besonders die ziemlich klar definierte und nicht einfach zu erfüllende Forderung von netto null Treibhausgasemissionen bis 2030 erfüllt werden könnte. Überbieten sich die Kandidierenden mit Empfehlungen zur Lösung der Klimakrise?
Eher das Gegenteil ist der Fall. Sogar Vordenker*innen und Wortführer*innen zu Klimafragen, einschliesslich von grünen und linken Parteien, äussern sich nur oberflächlich, zum Teil gar nicht (klimacharta.ch).
Oft stimmen die Kandidat*innen allen Forderung vordergründig zu, schreiben dann aber, mehr oder weniger direkt, warum sie die 2030-Forderung für nicht umsetzbar halten und also eigentlich doch nicht unterstützen.
Es macht den Anschein, die Kandidatinnen und Kandidaten für den National- oder Ständerat wissen nicht, wie die Forderungen der Klimastreikbewegung umgesetzt werden können. Oder sie wissen nicht, wie das CO2-Problem lösbar ist.
Ausserhalb der Charta wird von links quasi-anonym behauptet, mit CO2-Abgaben auf viel zu bescheidener Höhe und viel zu spät, einem kleinen Feuerwerk weiterer Vorschläge und noch mehr gutem Glauben an technischen Fortschritt, würde die 2030-Forderung erfüllt und es wird suggeriert, das würde kaum etwas kosten. Ein weiterer Vorschlag von noch linker, geht in die gleiche Richtung.
Lapidare Feststellungen wie «Die Schweiz senkt den Ausstoss klimaschädigender Gase auf netto Null bis ins Jahr 2030» (Beat Ringger) und der Wunsch nach einem Systemwechsel tun nichts zur Sache.
Vermeintlich gute Nachrichten mögen bisweilen willkommen sein. Ein Heilsversprechen ist jedoch keine Erlösung. Die Umsetzung der wenig gehaltvollen Vorschläge würde die 2030-Forderungen der Bewegung nicht annähernd erfüllen.
Die Meinungen aller wichtigen Parteien der Schweiz sind bekannt. Ihre Absichtsbekundungen widerspiegeln meist Verweigerung, Ersatzhandlung, Ablenkung oder Belanglosigkeit — wahlweise, je nach Partei. So verschieden die Pläne der Schweizer Parteien sind, eine Gemeinsamkeit gibt es: Selbst wenn sie umgesetzt würden, wäre der Beitrag des Landes für die Respektierung der 1,5-Grad Limite ungeeignet. Relativ ambitioniert ist der Plan der Jungen Grünen. Auch dieser Plan genügt dem selbstdeklarierten Anspruch jedoch nicht annähernd.
Netto null CO2 muss und kann schnell erreicht werden. Dafür braucht es Gesetze für Massnahmen, die redlich sind, wenn auch vielleicht nicht überall beliebt. Unser Leben müsste aber nicht einmal einschneidend umgestellt werden.
CO2-Emissionen müssen schneller sinken als IPCC und UNO kolportieren | Artikel auf klimaatelier.ch
Taugliche Instrumente — und untaugliche
Es gibt verschiedene Ansätze zur Bewältigung der Klimakrise, bessere und schlechtere:
- Hoffen und beten, dass die Menschen schnell alle zu regelrechten Altruisten werden, also dem Gegenteil von Egoisten, und die Klimakrise ohne Gesetze lösen – eigenverantwortlich. Wir sollten uns bitte nicht mehr weiter auf einen positiven Effekt der von allen Seiten lancierten ‹Klimapredigten› verlassen, auch nicht auf einen quasi-esoterischen ‹Bewusstseinswandel›.
— - Darauf hoffen, dass ein allein auf Marktkräften und Innovation beruhender technischer Fortschritt die fossilen Energieträger und Zement überflüssig macht, sodass diese Stoffe schliesslich gar nicht mehr produziert und genutzt werden — und auch die anderen Treibhausgasemissionen ausbleiben. Darauf sollten wir uns genauso wenig verlassen.
— - Hohe Steuern oder Abgaben erheben, um den technologischen Fortschritt zu finanzieren und zu beschleunigen. Dies sollte grosszügig geschehen, besonders im Bereich Forschung und Entwicklung. Wind- und Sonnenenergie, Geothermie, Brennstoffzellen- und Wärmepumpentechnologie, Strom- und Wärmespeicherung, CO2-Entfernung, CO2-Abscheidung und synthetische Energieträger; es gäbe viel zu tun und es wären Investitionen, nicht einfach Ausgaben, die sich primär im Inland aufdrängen. Es muss aber nicht alle Forschungsförderung im Inland stattfinden. Entwicklungshilfe durch Auslandinvestitionen in Forschung, warum nicht? Darüber gäbe es mehr zu schreiben. Netto null Treibhausgasemissionen werden wir jedoch auch mit forciertem technologischem Fortschritt nicht erreichen. Der Versuch, mit Technologieförderung allein den ganzen Weg zu gehen, wäre ein teures Unterfangen ohne Aussicht auf Zielerreichung. Subventionen sind teuer, meist ungerecht und zu wenig wirksam.
— - Eine Quelle imaginären Reichtums herbeiwünschen und damit die Rechnung für den Bau neuer Energieanlagen begleichen, also Geld für diesen Zweck herstellen und ausgeben. Dies wird in den USA vorgeschlagen und nun auch in der Schweiz. Auch wenn die Rechnungsstellung in diesem Fall komplex ist, muss am Ende die Rechnung bezahlt werden. Und es werden bei diesem Ansatz nicht vordringlich die materiell besser gestellten Menschen diese Rechnung bezahlen. (Das heisst aber natürlich nicht, nationale, internationale, kantonale und private Banken sollen weiterhin dreckige statt saubere Geschäfte finanzieren, einschliesslich durch Geldschöpfung.)
— - Nach und nach die Importe (und die Gewinnung) oder die Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas einschränken, verbieten, von Zement auch. Es mag den Anschein machen, Verbote seien gerecht und kostengünstig. Der Vorstellung trügt in beider Hinsicht. Der politische Wille für wirksame Verbote ist bescheiden — oft mit guten Gründen. Der Versuch, netto null Treibhausgasemissionen nur mit Verboten zu erreichen, wäre teuer und aussichtslos. Schlicht den Import von fossilen Energieträgern oder sogar von fossilem Kohlenstoff zu verbieten, tönt lässig und billig, wäre aber extrem teuer — denn es würden sehr viele, sehr teure synthetische (Jumplink) Energieträger importiert. Das wäre sehr viel teurer als der in einem Folgebeitrag gemachte Vorschlag. Verbote sollten jedoch nicht tabu sein. Einige wichtige Verbote zur richtigen Zeit könnten sehr wohl Kosten vermeiden. Ein sofortiges Verbot der Neuzulassung von Autos, die fossile Treibstoffe verbrennen, und sofort eine sehr restriktive Bewilligungspflicht für den Einbau von Heizungen, die Heizöl oder Erdgas verbrennen, wären richtig.
— - Treibhausgasemissionen rationieren und die handelbaren Rationen („Zertifikate“) rechtzeitig auf null herunterfahren. Wenn mit Konsequenz eingesetzt, kann Rationierung (oder ‹Mengensteuerung›) zweifellos die Forderung von ‹Netto-Null› bis 2030 erfüllen — sofern die Rationen versteigert werden und (anfangs zunehmend, dann auslaufend) ein Teil des Geldes für die Wiederentfernung von CO2 aus der Luft eingesetzt wird. Rationierung erscheint vielen Menschen als gerecht und kostengünstig. Auch diese Wahrnehmung ist unter Umständen sehr trügerisch. Die Kosten der Veränderungen fallen, wie bei der Preissteuerung durch Abgaben (weiter unten, H), bei der Rationierung auch an. Der Wandel durch die Verknappung der fossilen Energieträger generiert eine Knappheitsrente, also Gewinne. Bei Mengensteuerung wird diese ‹Knappheitsrente› gerne durch die reichen Menschen eingenommen (Produzenten und Banker), aber durch die finanziell weniger gut ausgestatteten Menschen bezahlt (Konsumenten). Dieses Problem könnte gelöst werden, wenn alle Rationen versteigert würden und der gesamte Auktionsertrag an die Bevölkerung verteilt würde oder, komplizierter, wenn die Bevölkerung alle Rationen zu gleichen Teilen erhielte. In der politischen Praxis sind Rationierungssysteme bisher immer Selbstbedienungsläden für reiche und politisch mächtige Menschen. Bisher wurde weltweit noch kein faires und wirksames Rationierungssystem für den Klimaschutz umgesetzt. In der politischen Praxis sind bisher alle Systeme mit handelbaren Treibhausgas-Emissionsrechten ineffizient (teuer), viel zu wenig wirksam und ausgesprochen ungerecht.
— - Von den Importeuren fossiler Energie verlangen, dass ein Teil des importieren Kohlenstoffs in Form von CO2 vorher im Untergrund bleibend gespeichert wurde. Bis zum Zieljahr der Nullemissionen die vollständige präventive Entfernung von allen importierten fossilen Energieträgern oder sogar allem importiertem fossilem Kohlenstoff verlangen. Für CO2-Emissionen aus Zementwerken und für andere Treibhausgase als CO2 in analoger Weise verfahren. Es wäre eine besondere Form der Mengensteuerung. Sie weist dieselben Probleme auf, wie andere Varianten der Mengensteuerung (Rationierung, F). Auch bei dieser Form der Mengensteuerung fällt die Knappheitsrente an. Ihre faire Verteilung ist bei dieser Variante aber ausgeschlossen. Immerhin wäre die ‹Selbstbedienung› erschwert, da nur die Sequestrierung CO2-Zertifikate generieren würde. Die Möglichkeit, eine echte Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft mit synthetischen (Jumplink) Energieträgern zu schaffen, würde bei diesem Ansatz aufgeschoben, vielleicht für sehr lange Zeit.
— - Preissteuerung: Kohle, Erdöl und Erdgas schnell zunehmend verteuern, schliesslich in einem Mass, dass die CO2-Emissionen aufhören, weil die Alternativen kostengünstiger sind und weil aus dem Abgabenaufkommen ausreichend hohe Prämien für die Entfernung von CO2 aus der Luft bzw. aus Kaminen ausgerichtet werden. Analoge Abgaben bei der Zementproduktion und den Emissionen anderer Treibhausgase als CO2 erheben. Abgesehen von den Ausgaben für die CO2-Entfernung wird das ganze Aufkommen aus den Abgaben pro Kopf als ‹Ökobonus› zurückverteilt. Die Gefahr, dass, wie bei der Rationierung (Mengensteuerung), Menschen mit Sonderinteressen selektive Vorteile erlangen (sogar sich aus dem Abgabenaufkommen bedienen), ist auch bei Preissteuerung erheblich, aber zweifellos geringer als bei Mengensteuerung (F). Einen konkreten Vorschlag auf dieser Basis (Preissteuerung) gibt es in diesem Beitrag.
— - Eine Weltregierung mit hoher Machtfülle in Klimafragen installieren und dieser ein Mandat und die Kompetenz zur Problemlösung geben. Das wäre der beste Ansatz gewesen und er sollte nicht beiseite geschoben bleiben. Mit dem Pariser Abkommen geht die Entwicklung jedoch gerade in die umgekehrte Richtung. Es weist die Verantwortung für Emissionsbeschränkungen klar den Nationalstaaten zu.
Das Angebot, sich zu den vier Forderungen der Klimastreikbewegung zu äussern, gilt auch für Menschen, die auf eine Kandidatur verzichten. Zu den vier Forderungen der Bewegung und den Punkten der Klima-Charta gibt es Erläuterungen in den weiteren Beiträgen dieser Reihe und einen Vorschlag mit konkreten Regeln.
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Was ‹Klimanotstand› bedeuten sollte
Zur ersten Forderung der Klimastreikbewegung
Beitrag auf klimaatelier.ch
Die grosse Herausforderung | Netto-Null bis 2030 | Was noch zu beachten ist | Eine Einführung zur Forderung Netto-Null bis 2030 | Beitrag auf klimaatelier.ch
Der Ausweg aus der Klimafalle | Vorschlag für Netto-Null bis 2030 unter Berücksichtigung der Forderung ‹Klimagerechtigkeit› | klimaatelier.ch
Welches System wie zu wandeln wäre | Beitrag zur bedingten Forderung der Klimastreikbewegung | klimacharta.ch | klimaatelier.ch
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