Die Leugner des Klimawandels haben gewonnen. Jedenfalls sind sie stärker als je zuvor. Die Klimaschützer sehen die Ursachen bei den professionellen, von der interessierten Industrie finanzierten Leugnern und bei der Psychologie der Teile der Bevölkerung, bei denen die Argumente der Profileugner auf fruchtbaren Boden fallen. Die wichtige Frage ist: Warum gibt es diesen fruchtbaren Boden? Die unbequeme Wahrheit ist: Die meisten Klimaschützer haben diesen Boden selbst bereitet. Sie selbst verursachen die Leugnung des Klimawandels.
Ein Land von Leugnern
In der Schweiz, dem Land mit der mit Abstand höchsten Dichte von IPCC-Klimaforschern, leugnet gemäss einer europäischen Studie die Mehrheit der Bevölkerung den durch menschliche Aktivitäten gemachten Klimawandel. Nur gerade 65 Prozent der Befragten sind der «Auffassung», das Klima verändere sich eindeutig. Weitere 32 Prozent halten dies immerhin für wahrscheinlich.
Nur gerade 4 Prozent der Antwortenden gaben an, der Klimawandel sei «nur durch menschliches Handeln verursacht».
Die menschliche Ursache ist nicht anerkannt
Um das Glas als halb voll zu erachten, könnte erwähnt werden, dass weitere 40 Prozent denken, der Klimawandel sei vor allem durch menschliches Handeln verursacht. 54 Prozent der Antwortenden geben aber an, er sei «zu etwa gleichen Teilen durch natürliche Prozesse und menschliches Handeln» verursacht, noch weniger menschgemacht oder gar nicht athropogen. Die Mehrheit täuscht sich also eindeutig. Eine gefällige Halbvoll-Sichtweise, wie sie bereits durch das Schweizer Fernsehen dargestellt wurde, wäre trügerisch. Wichtig zu wissen und erschreckend ist: Eine überwiegende Mehrheit irrt eindeutig und nur gerade 4 Prozent der Bevölkerung gab die bestmögliche Antwort, soweit sie überhaupt zur Wahl stand.
Ein anderes Resultat derselben Umfrage ist vielleicht weniger erschreckend, aber skurril: Während knapp weniger (96,3%) überhaupt glauben, dass sich das Klima wahrscheinlich oder eindeutig verändert, fühlen sich fast alle Antwortenden (97,1%) persönlich wenigstens minimal «verantwortlich, einen Beitrag zu leisten, damit der Klimawandel reduziert wird» (89% mittel bis viel, darunter 10% sogar sehr stark, «énormément»).
Die Befragten glauben, persönlich bereits viel gegen den Klimawandel zu tun, aber deutlich weniger an eine Wirkung ihres Tuns. Noch viel weniger glauben sie, dass «eine grosse Anzahl an Menschen ihren Energieverbrauch tatsächlich einschränken im Versuch, den Klimawandel zu reduzieren» (vgl. Diagramm oben).
Die menschliche Irrationalität in der Sache Klimawandel ist auffällig, ebenso wie das menschliche Bedürfnis, sich auch in dieser globalen Tragik der Allmend namens Atmosphäre als Individuum verantwortlich zu fühlen und sich moralisch korrekt zu geben.
Klimapredigt, Klimaleugnung
Regierungen, Umweltschutzorganisationen, Unternehmen, Experten und Aktivisten appellieren an freiwilliges, moralisch korrektes, klimafreundliches Verhalten. Niemand will unmoralisch sein, als unmoralisch angesehen werden oder sich als unmoralisch einschätzen. Wohl als Folge davon glauben die Schweizer und Schweizerinnen weitgehend, sich klimakonform zu verhalten.
Ihr in Wirklichkeit nur wenig klimafreundliches Verhalten hat keine nennenswerte direkte positive Wirkung. Die Moralappelle haben aber einen unbeabsichtigten negativen Nebeneffekt. Sie sind eine Schuldzuweisung der Schuldigen, der politisch Mächtigen, an die Unschuldigen, die politisch Schwachen.
Die Leugnung des Problems ist eine einfache Methode, die Schuldzuweisung abzuwehren und ein Schuldgefühl zu vermeiden. Der Verdacht ist jedenfalls begründet, dass die Appelle die Leugnung des Klimawandels begünstigen. Der psychologische Effekt ist beschrieben und es gibt auch Studien, welche diese Hypothese stützen. 1
Gründlich untersucht wurde das Problem jedoch noch nie.
Eigentlich braucht es keine wissenschaftlichen Studien. Schon die Tatsache, dass der Klimawandel zwar breit anerkannt wird, die menschliche Ursache aber breit abgelehnt wird, spricht für sich. Die eifrigen unter den Leugnern lassen uns darüber hinaus deutlich wissen, was es ist, das sie nicht ertragen. Sie wollen nicht beschuldigt werden.
Unzählige Beispiele, zu finden in praktisch jedem Online-Beitrag der vielen aktiven Leugner des Klimawandels, belegen klar, was genau abgelehnt wird. Es ist die Schuldzuweisung.
«Es gibt diese Lobbyisten, aber es gibt auch einfach Menschen, denen geht das irgendwie gegen den Strich, gegen ihr Identitätsgefühl, gegen ihre Weltanschauung, dass wir jetzt alle schuld sein sollen an einer globalen Erwärmung.» | Stefan Rahmstorf im Interview mit der Zeit.
Ein Beispiel: Der TV-Kosmologe Harald Lesch sagt: «Die Anklageschrift beim Kohlendioxid und beim Methan lautet eindeutig: Die Menschheit ist angeklagt … erhebliche Mengen Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen zu haben.» Ein Leugner erwidert: «Das ist nicht nur inhaltlich, sondern auch sachlich falsch. Darüber hinaus ist es der größte Quatsch, den man sich nur ausdenken kann. Man, Sie sind tief gefallen … UNFASSBAR! Wie kann man wissenschaftlich, menschlich und moralisch SO ABGRUNDTIEF fallen?!! Is‘ ja EKELHAFT!» [sic].
«Wir haben Kohlendioxid entlassen», sagt Harald Lesch und der Leugner erwidert: «Ach ja, „WIR“ waren das also! FRAGE: Wie stellt man denn fest, dass „WIR“ das waren, und nicht etwa Vulkane und Waldbrände?! MIST!» (Video ab 05:21). Der Leugner regt sich auf, dass Harald Lesch ihm vorwirft, CO2 entlassen zu haben, obschon sich der Leugner sicher ist, dass CO2: «mit Klima und Temperaturen bewiesenermaßen nix zu tun hat.»
Wenn es ums Klima geht, ist nicht jede Schuldzuweisung vermeidbar. Harald Lesch kann zum Beispiel nicht behaupten, der Klimawandel sei natürlich. Aber viele Klima-Schuldvorwürfe wären vermeidbar. Besonders der implizite, aber schwere Schuldvorwurf durch Klimapredigten wäre vermeidbar.
Für Sozialpsychologen ist die Leugnung als Folge der subtilen, aber schweren Beschuldigung durch Konsumverzichtappelle, etc., ein klassischer Fall von Vermeidung kognitiver Dissonanz. Dennoch befassen sich die Spezialisten, die sich mit der Psychologie der Leugnung des Klimawandels beschäftigen, kaum mit der Problematik.
Auch der Vergleich von verschiedenen anderen Fällen von Leugnung in Vergangenheit und Gegenwart würde sich aufdrängen. Die Geschichte von Ignaz Semmelweis ist ein zwar treffliches, aber nur eines von vielen Beispielen. 2
Vermutlich ist das Ausblenden der Problematik von Klimapredigten darauf zurückzuführen, dass Klimakommunikatoren oft selbst Klimaprediger sind und keinen Fehler bei sich selbst sehen wollen. Das gilt auch für zum Beispiel Per Espen Stoknes oder George Marshall, die sich speziell mit Klimakommunikation und der Leugnung des Klimawandels auseinandersetzen.
Finanzielle Unterstützung, Methoden und psychologische Verzerrungen (Biases) der Leugner werden erforscht. Bisher ignoriert werden aber die Biases auf der anderen Seite, also der eigenen Seite. Zu untersuchen gäbe es zum Beispiel das in diesem Fall irrationale Bedürfnis, Klimawandel als individuelle moralische Herausforderung zu sehen und persönliches, freiwilliges moralisches Verhalten zu fördern und zu fordern.
Allein schon das extreme Engagement der vielen privaten Leugner gibt zu denken. Was haben sie davon, sich so sehr zu investieren? Weshalb dieser Eifer? Und woher kommt ihre fast phänomenale Wut? Weshalb dieser Hass, sogar auf den ruhigen und sympathischen Welterklärer Harald Lesch, der selbst dann überschwänglich geliebt wird, wenn er Gott in Frage stellt? (Was UserIn „Verie“ zum Kommentar verleitete: «Harald, ich liebe dich und will mit dir schlafen!»)
«Aber wir sollen ein schlechtes Gewissen haben!» Das Gegenteil von Liebesbekundungen für Harald Lesch gibt es von den Leugnern des Klimawandels: «Sie haben sich mit Ihrem Klimageschwätz nämlich schon oft genug blamiert und als krimineller Lügner geoutet.» (00:05); «Ganz recht. SIE und ähnliches Gesocks sollten die Leute IN DER TAT endlich mit Ihren Klimalügen in Ruhe lassen!» (00:17); «Den Mist kann nämlich keiner mehr ertragen!» (00:20); «Klimalügners Lieblingsgas, obwohl CO2 an der Temperatur so viel ändern kann, wie ein Pinguin am Fahrplan der Pariser Metro. Namentlich: NICHTS!» (00:26); «Jo. Methan gehört auch zu Klimaschwindlers Lieblingen, obwohl das sogar NOCH lächerlicher als CO2 ist.» (00:29); [Pole schmelzen:] «Ebenfalls eine infame Lüge.» (00:34) ;«Klimahysteriker (…) alles erstunken und erlogen (…) gekaufte Klimafrösche der IPCC und andere westliche Fälscherwerkstätten welche die Temperaturdaten nach oben manipulieren (…) was für erbärmliche Heuchler und Menschenfeinde (…) unglaubwürdige Bande von Dummschwätzern (…) aber wir sollen ein schlechtes Gewissen haben, weil wir ausatmen und furzen, leckt uns am Arsch und steckt euch eure Klimalüge sonst wo hin.» (ab 00:36); «Leider glauben Klimaschwindelkriminelle immer, dass die Menschen alle doof wären, und noch nicht einmal mitbekommen würden, was sie täglich erleben.» (02:42); [Treibhauseffekt:] «Nö. Nicht „wunderbar“, sondern nicht existent.» (02:51); «RICHTIG! Da brauchen Klimalügner wie Sie nicht zum hundertsten Male ihre Lügen zu wiederholen.» (03:00); «Und die, die das sagen [dass die Menschen nichts mit Klimawandel zu tun haben] haben auch absolut Recht. Aber das wissen Sie ja selber, Herr Klimawandelschwindler.» (03:06); [Einfluss des Menschen:] «GAR NICHT! » (03:22); «Ist das bei Ihnen irgendwie krankheitsbedingt? (…) Is‘ doch nicht mehr normal, Menschenskind!» (03:27); «Hauptsache, das Lügengesindel kann sich die Taschen vollstecken, als ob da nicht schon genug wäre!» (04:29); «Ihr Klimaschwindelkriminellen müsst euch doch eigentlich vor euch selber ekeln!» (04:33); «LÜGEN UNSINN und UNWAHRHEITEN kommen dabei raus!» (04:48); «Dadurch [soll man die Abweichung vom natürlichen Klima erklären], dass Klimaschwindelkriminelle unwahren Blödsinn absondern.» (05:20); «Der nächste Schritt wird dann wohl DER sein, dass das Klimaschwindlergesindel endlich lebenslänglich eingesperrt wird.» (06:22); «Das können sich die Klimaschwindelterroristen noch so viel dummes Zeug aus den Fingern lügen.» (07:04); «Ich könnte KOTZEN, wenn ich das Geschwätz von diesem verlogenen Verbrecher höre!» (06:36); «Das allergrösste Problem ist, wo kriegen wir so viele Justizvollzugsanstalten her, zur Aufbewahrung der ganzen Klimaschwindelkanaillen!?» (07:24); «Für alle anderen Klimalügen gibt’s schon genug Knast.» (07:36); «Es ist mitterweile ein ekelhaftes, langweiliges Thema, das den Menschen NUR NOCH auf die Eier geht, weil sie den Quatsch und die Lügen nicht mehr hören können!» (07:52); «HOFFENTLICH hören Sie damit [dem Klimawandel] endlich auf und HOFFENTLICH werden Sie für Ihre Lügereien zur Rechenschaft gezogen!» | Kritik an Harald Lesch. Ausschnitte aus einem Video eines vermutlich anonymen, vermutlich privaten Leugners des Klimawandels.
Allgegenwärtige Klimapredigten
Es dient dem Problemverständnis, sich in die Sichtweise und Psychologie der Leugner zu versetzen — soweit das möglich ist. Tut man es und ist man bereit, eigene Fehler einzugestehen, wird alles, was es an skurrilen Dingen im Bereich der Leugnung des Klimawandels gibt, erklärbar, sogar die Wut der Klimaleugner auf die Klimakommunikatoren, die als Moralapostel, Manipulatoren oder Alarmisten wahrgenommen und bezeichnet werden.
Die meisten Kommunikatoren des Klimawandels sind auch Klimaprediger. Sie predigen, wie das Sprichwort sagt, Wasser, aber sie trinken Wein. Es ist unvermeidlich, dass sie sozusagen «Wein trinken», denn einen klimaverträglichen Lebensstil zu führen, ist in einem industrialisierten Land zur Zeit unmöglich. Die Leugner des Klimawandels fühlen sich manipuliert, und das hinsichtlich der Predigten völlig zu recht. Sie verabscheuen die falschen Schuldzuweisungen und sie verabscheuen diejenigen, die beschuldigen. In der Folge weisen sie alles zurück, was vom ökologisch orientierten Teil der Menschheit kommt, einschliesslich den Treibhauseffekt und den Klimawandel — den von Menschen verursachten. Es ist nicht ursprünglich die Atmosphärenphysik, die stört. Es ist die Psychologie. Die Beschuldigung stört.
Dass fast systematisch Umweltschutzorganisationen ihre Spender, und Regierungen ihre Bürger, mit Verhaltenstipps und Verzichtsappellen überhäufen, also klimapredigen, und dadurch falsche Schuldzuweisungen machen, liefert den Leugnern grosse Zielscheiben und verstärkt ihre Tendenz, an eine Verschwörung zu glauben. Der Glaube an eine Verschwörung ist nicht einfach ein weiterer Irrtum der Leugner. Kohärentes Leugnen des Klimawandels bedingt eine Verschwörungstheorie.
Das erste Paradoxon der Klimapredigten
Wer Moral predigt, muss sich selbst moralisch einwandfrei verhalten. Da Letzteres unmöglich ist, sollte auf Ersteres verzichtet werden. Die Leugner begreifen das intuitiv und wehren sich gegen die paradoxe Kommunikation auf ihre Art. Der Vorwurf, sich unmoralisch zu verhalten, ist ein schwerer. Es ist logisch, dass sich die Leugner dagegen wehren. Wenn der Vorwurf unmoralischen Verhaltens von denen gemacht wird, die sich selbst nicht korrekt verhalten, ist Ablehnung durch Leugnung und Gegenwehr durch Gegenbeschuldigung fast folgerichtig.
«Sie können tatsächlich Ihre CO2-Emissionen auf null reduzieren.» Nicht nur Al Gore klimapredigt, hält sich selbst aber nicht an seine Moralappelle. Es ist für alle notwendig, aber niemand kann seine CO2-Emissionen auch nur nahezu auf null reduzieren, ausser das Energiesystem wird umgebaut. «Und Al [Gore] verdiente über 50 Mio. Dollar damit dir zu erzählen das du ein Schweiz bist und künftig gefälligst kürzer treten solltest 😉 [sic]». Auch wenn die Wahrnehmung nicht auf der moralischen Ebene wäre: Die Interpretation von Klimapredigten als Manipulation liegt mehr als nur nahe. Sie ist, je nach Fall und je nach Definition des Begriffs Manipulation, korrekt. Logisch wird sie zurückgewiesen und der Klimawandel pauschal bestritten. Logisch werden Manipulatoren verhöhnt, diskreditiert, gehasst und missachtet, nicht nur Al Gore. | Ausschnitt aus dem Leugnervideo «Eine unbequeme Wahrheit: 12 Jahre danach – Doku Film Klimawandel – noch immer – Fortsetzung» mit seinerseits Ton- und Bild-Ausschnitten aus «Die unbequeme Wahrheit».
Wegen der Allgegenwärtigkeit von Klimapredigten müssen Klimakommunikatoren sich sogar dann unmoralisches Verhalten vorwerfen lassen, wenn sie nicht klimapredigen. Zum Beispiel werfen Leugner «Klimapapst» Hans Joachim Schellnhuber aufgrund eines Interviews vor, wegen seiner Vielfliegerei «mindestens das 3-5fache des Durchschnittsdeutschen an CO2 pro Jahr» auszustossen, obschon der Klimaforscher in gleichen Interview Klima-Moralappelle ausdrücklich nicht unterstützt: «Es hat keinen Sinn, den Menschen zu sagen, tut Buße und lasst ab von diesem unmoralischen Leben.»
Die Kritik ist aber insofern folgerichtig, als dass H. J. Schellnhuber bei anderer Gelegenheit dennoch predigt. Als Klimaforscher mit sehr hohem Ansehen weist er mit dramatischen Aussagen auch auf die Risiken des Klimawandels hin. 3
Das zweite Paradoxon der Klimapredigten
Die Kombination aus dramatischer Darstellung des Problems CO2 — das gelöst werden muss, weil das Treibhausgas sich in der Atmosphäre ansammelt — und die Verniedlichung desselben Problems durch die Klima-Moralappelle mit ihrem Postulat von Freiwilligkeit — wodurch das Problem unmöglich gelöst werden kann —, müsste eigentlich jedes vernunftbegabte Wesen verwirren.
Die Verwirrung gibt es tatsächlich, aber nur unbewusst und leider nur auf der einen Seite der Debatte, bei den Leugnern des Klimawandels. Dass dramatische Darstellung und Verniedlichung oft denselben Ursprung haben, macht die Sache nicht besser.
Einbildung, Selbstdarstellung und Ansehen: Personal Greenwashing
Es gibt auch eine ganz andere Art, mit den Klimapredigten umzugehen und ein schlechtes Gewissen zu vermeiden, statt regelrecht zu leugnen.
Die Klimapredigten werden fast geschlossen begrüsst aber marginal befolgt. Einige vollziehen meist kleine, selten grössere persönliche Ersatzhandlungen, fühlen sich «nachhaltig», sparen bei guter Gelegenheit etwas Energie, oder bilden es sich ein. Sie kompensieren ab und zu eine Flugreise, fahren vielleicht ein Hybridauto, etc. Nicht selten werden kleine Verzichtshandlungen oder grüner Konsum überschätzt und überhöht. Häufig wird darüber gesprochen, gerne auch mit Ausreden. Halbwegs konsequent Handelnde werden gerne von den Medien porträtiert.
Ob mit oder ohne mediale Unterstützung, dieses persönliche Greenwashing bringt uns der Problemlösung nicht näher. Der Zweck der Ersatzhandlungen ist derselbe wie bei der Leugnung des Klimawandels, genauer gesagt, der Leugnung der menschlichen Ursache des Klimawandels: Das Gewissen wird rein.
Dabei wäre ein schlechtes Gewissen ein guter Motivator — für gesellschaftlich relevante Aktion, für politische Aktion. Dafür bleibt jedoch nach dem urbanen Permagärtnern, dem veganen Kochen, dem Velofahren und Elektrovelofahren, dem der Minimalismusmode genügenden Wegschmeissen und dem anschliessenden grünen Shopping, dem Konsumverzicht und dem „nachhaltigen“ Geschäften kaum noch Zeit.
Auch wenn die gelegentlichen Ersatzhandlungen auf dasselbe abzielen wie die Leugnung des Problems — die Vermeidung eines Schuldgefühls — ist dieses Schuldvermeidungsziel nie ganz erreichbar.
Der implizite, aber schwere Schuldvorwurf, der ungewollt aber unvermeidlich mit dem dauernden Strom von Klimapredigten daherkommt, lässt niemanden unberührt, auch diejenigen nicht, die zwar die globale Temperaturerhöhung aufhalten wollen, aber auf Ersatzhandlungen weitgehend verzichten.
Es herrscht Klimaruhe
Es gibt noch eine dritte bedeutende Methode, mit den Klimapredigten umzugehen. Im direkten Gespräch wird die Beschuldigung vermieden, die wegen der allgegenwärtigen Klimapredigten immer latent im Raum steht. Es spricht kaum jemand mit seinem Nachbarn über Klimawandel, weil immer zu befürchten ist, dass der Nachbar denkt: «Du fährst aber auch Auto, fliegst aber auch in die Ferien, isst aber auch Fleisch, also komm mir nicht mit diesem Klima-Thema!» Folglich herrscht Klimaruhe.
Wie die Wut und der Eifer der Leugner ist auch die Klimaruhe skurril. Aber auch sie ist mit den Klimapredigten erklärbar — anders nicht. Die Klimapredigten schaffen es, dass Klimawandel in breiten Bevölkerungsschichten kein Thema ist, auch kein politisches Thema.
Dabei sind die Schweizerinnen und Schweizer überwiegend wegen Klimawandel besorgt. Sie wollen eindeutig eine umweltfreundliche Energieversorgung und politische Massnahmen und wären auch bereit, dafür zu bezahlen.
Sie trauen den Regierungen dieser Welt die Problemlösung jedoch nur halb zu und das mit gutem Grund. Verantwortlichen zu vertrauen, welche die Verantwortung abschieben, wäre ziemlich naiv.
Wegen unserer moralischen Grundausstattung und dem Strom von Klimapredigten sehen sich auch diejenigen als persönlich verantwortlich, die selbst nicht klimapredigen. Es ist eine Verantwortung, der wir als individuelle Konsumenten jedoch nicht gerecht werden können.
Verwandter Beitrag auf klimaatelier.ch:
Die Meinung der Schweiz über Klima und Energie. Umfrageergebnisse des European Social Survey 2016.
Es ist nie zu spät für den nützlichen Verzicht
Die Klimapredigten in Form von Verzichtsappellen und dergleichen behindern die politische Auseinandersetzung um die globale Temperaturerhöhung und ihre Folgen. Politische Ansätze zur Lösung der Klimakrise werden wegen der Klima-Moralappelle zu wenig besprochen und manchmal sogar als illegitim erachtet.
Die negativen Folgen der beiden Paradoxa — erstens Predigten durch unmoralische Klima-Prediger und zweitens dramatische Darstellung des Klimawandels aber gleichzeitige Problemverniedlichung mittels Verzichts- und Konsumappellen —, können nur durch einen ausdrücklichen Verzicht auf die Klimapredigten vermieden werden.
Es ist nie zu früh, die Klimakrise anzugehen. Es ist nie zu spät, auf Klimapredigten zu verzichten. Sie kritisch zu sehen und abzulehnen ist überfällig.
Verzichtet, ihr Klima-Moralapostel! Verzichtet auf eure Moralappelle in Form von Klimatipps, die Klimapredigten! Verzichtet auch auf persönliches Greenwashing!
Alles andere wäre unmoralisch.
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Schlüsselworte
Klimaschuldkomplex (#Klimaschuldkomplex)
#StopClimatePreaching
#StopClimateSilence
#StopClimateDenial
#StopPersonalGreenwashing
#NoConsumerBashing
Gründlicherer Artikel in Englisch:
- Preaching, Accusation, Guilt, Denial, Personal Greenwashing, Climate Silence: Learning from Ignaz Semmelweis for Climate Communication
Anmerkungen
Anmerkung 1
Die Hypothese, dass Klimapredigten bei einem Teil der Bevölkerung die Leugnung des Klimawandels begünstigen, wird besonders durch Arbeiten von Feinberg und Willer sowie Obradovich und Guenther gestützt. McDonald et al., Schneider et al. und Bissing-Olsen et al. liefern Hinweise. Als Beobachtung beschrieben ist die Hypothese in den Arbeiten von Stoll-Kleemann et al., per Espen Stoknes und in George Marshalls Buch. (Vgl. Abschnitt Quellen und ausgewählte Referenzen.) Der ausführlichere Artikel in Englisch zum gleichen Thema behandelt diese Arbeiten — und die Haltung von George Marshall und Per Espen Stoknes zu Klimapredigten, die deren eigener Erkenntnis widerspricht.
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Anmerkung 2
Verschiedene andere Beispiele sind in diesem Abschnitt eines umfassenderen Artikels in Englisch erläutert, die Leugnung von Ignaz Semmelweis Erkenntnis in diesem Abschnitt.
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Anmerkung 3
In seinem Buch ‚Der Klimawandel‘ schrieb Hans Joachim Schellnhuber zusammen mit Stefan Rahmstorf (2012): «Die Nachfrage nach Energiedienstleistungen wird durch steigende Preise allein nur wenig gedämpft; eher könnten bewusste Konsumentenentscheidungen aufgrund verbesserter Einsichten in die Klimaproblematik hier eine wichtige Rolle spielen.»
Der Tages-Anzeiger zitierte Hans Joachim Schellnhuber kürzlich so: «Die Divestment-Bewegung, die dazu auffordert, Geld aus umweltschädlichen Anlageformen abzuziehen, ist ein guter Anfang. Und ich dachte früher immer, es sei unpolitisch, den Einzelnen in die Pflicht zu nehmen. Aber jeder sollte verdammt noch mal tatsächlich etwas beitragen. Wir haben uns alle viel zu lange aus der Verantwortung gestohlen. Ja, wir müssen alle Kohlekraftwerke schliessen, ja, wir müssen auf 100 Prozent erneuerbare Energien gehen, aber Sie und ich können von heute auf morgen beschliessen, kein Fleisch mehr zu essen und keine Langstreckenflüge mehr zu machen.»
Ebenfalls kürzlich erklärte Hans Joachim Schellnhuber das «Überleben unserer Zivilisation» als wegen Klimawandel gefährdet.
Exemplarisch zeigt sich, wie die rationale Erwägung des brillanten Wissenschafters (Klima-Moralappelle sind sinnlos) mit ethischen Prinzipien ringt. Vielleicht ist in diesem Fall die rationale Erwägung zusätzlich mit der Haltung eines Menschen in Konflikt, der mit 16 Jahren «Kant, Einstein und Marx parallel» las. Auch bei H. J. Schellnhuber siegt bei dieser inneren mentalen Auseinandersetzung meist die intuitive Neigung, moralisches Handeln zu begrüssen und zu erwarten, über die rationale Einschätzung und Erwägung.
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Quellen und ausgewählte Referenzen
European Social Survey 2016. Daten für die Schweiz. (Link), pdf-Datei mit Quelldaten. Artikel dazu auf klimaatelier.ch.
George Marshall. Don’t Even Think About It. Why Our Brains Are Wired To Ignore Climate Change (Denk schon gar nicht dran. Warum unsere Gehirne verdrahtet sind, um Klimawandel zu ignorieren), Buch
(Bissing-Olsen et al.) Megan J. Bissing-Olson, Kelly S. Fielding, Aarti Iyer. Experiences of pride, not guilt, predict pro-environmental behavior when pro-environmental descriptive norms are more positive. January 5, 2016. (Link, paywall)
(McDonald et al.) Rachel I. McDonald, Kelly S. Fielding, Winnifred R. Louis. Conflicting social norms and community conservation compliance, Journal for Nature Conservation,Volume 22, Issue 3, 2014, Pages 212-216, ISSN 1617-1381, https://doi.org/10.1016/j.jnc.2013.11.005. (Link, paywall)
(Feinberg and Willer) Matthew Feinberg and Robb Willer. Apocalypse Soon?: Dire Messages Reduce Belief in Global Warming by Contradicting Just-World Beliefs. Psychological Science. Vol 22, Issue 1, pp. 34 – 38. 2010. (Offizieller Link, paywall; Link zum Paper, supplemental material)
(Obradovich and Guenther) Nick Obradovich, Scott M. Guenther. Collective responsibility amplifies mitigation behaviors. 4. Mai, 2016. (Link, paywall)
(Schneider et al.) Claudia R. Schneider, Lisa Zaval, Elke U. Weber, Ezra M. Markowitz. The influence of anticipated pride and guilt on proenvironmental decision making. PLOS. 30. November, 2017 (Link zum Paper)
(Stoknes) Per Espen Stoknes. Rethinking climate communications and the “psychological climate paradox”. Energy Research & Social Science. 1. 161–170. 10.1016/j.erss.2014.03.007. 13 April, 2014 (download gesamtes Paper von research gate)
(Stoll-Kleemann) Susanne Stoll-Kleemann, Tim O’Riordan, Carlo C. Jaeger. The psychology of denial concerning climate mitigation measures: evidence from Swiss focus groups. Global Environmental Change, Volume 11, Issue 2, 2001, Pages 107-117, ISSN 0959-3780, https://doi.org/10.1016/S0959-3780(00)00061-3. (Link, paywall; download von research gate)
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