Die Bevölkerung Europas, einschliesslich der Schweiz, wurde zum Thema Klima und Energie befragt. Die Ergebnisse sind aus psychologischer Sicht interessant und legen offen, wie sehr die Kommunikation zum Thema Klimawandel bisher gescheitert ist. Die Schweizerinnen und Schweizer leugnen den Klimawandel, sorgen sich aber deswegen, fühlen sich verantwortlich und glauben, persönlich korrekt zu handeln. Dass ihr Handeln nutzbringend ist, glauben sie sehr viel weniger. Die interessantesten Resultate sind graphisch dargestellt.
34 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer geben an, bei einer grösseren Gerätebeschaffung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eines der energiesparendsten Produkte zu kaufen. Nur drei Prozent schätzt aber die Wirkung ihres Handelns zur Reduktion von Klimawandel als sehr hoch ein. Fast alle Antwortenden fühlen sich persönlich verantwortlich, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Sie bilden sich eine vorteilhafte Wirkung ihres Handelns ein, wenn auch nur halbherzig — im Vergleich zur Einschätzung ihres eigenen Verhaltens. An eine Bereitschaft anderer, etwas gegen den Klimawandel zu tun, glauben sie sehr viel weniger, als sie eigenes positives Handeln behaupten.
Es wird eine erhebliche Wirkung des eigenen Verhaltens bei Energieanwendungen vermutet. Objektiv ist diese Wirkung praktisch null, aber nur wenige sehen dies so.
Die Einschätzung des eigenen Energiesparverhaltens wurde durch eine weitere Frage ermittelt und die positive Selbsteinschätzung bestätigt.
Angesichts des privaten Schweizer Fahrzeugparks, immer mehr Flügen und unverändert hohem Konsum ist diese Selbsteinschätzung auffällig. Vielleicht handelt es sich trotz Anonymität eher um Selbstdarstellung, wahrscheinlich um Selbsttäuschung.
Verhielten sich die Antwortenden tatsächlich so, könnten wir auf einen Fortschritt beim Klimaschutz durch Konsum- und Verzichtsappelle sowie altruistischen, freiwilligen Klimaschutz hoffen. Selbstwahrnehmung oder Selbstdarstellung entsprechen jedoch nicht der Realität.
Existenz von Klimawandel
Ursache des Klimawandels
Die gute Nachricht ist: Nur wenige geben an, der Klimawandel sei vor allem (4%) oder vollständig (1%) durch natürliche Prozesse verursacht. Diese Prozentzahlen sind jedoch mit Zurückhaltung zu geniessen, denn trotz suggestiver Fragestellung glauben 1,3 Prozent gar nicht, dass es einen Klimawandel gibt und weitere 2,4 Prozent meinen, das Klima ändere sich wahrscheinlich nicht. (Letztere beiden Prozentzahlen gehen aus einer anderen Frage hervor, Fig. 3, oben).
Die schlechte Nachricht ist: Fast die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer meint, der Klimawandel sei etwa gleichermassen durch natürliche Prozesse und menschliches Handeln verursacht. Wichtiges Wissen zum Klimawandel ist nicht angekommen oder wird verdrängt.
Die Mehrheit liegt falsch, ist klar anderer Meinung als die Wissenschaft. Nur gerade vier Prozent geben die bestmögliche zur Auswahl stehende Antwort, nämlich, dass der Klimawandel nur durch menschliches Handeln verursacht ist.
Ist Klimawandel gut oder schlecht?
Gut ein viertel der Befragten erwartet eine weltweit positive Wirkung des Klimawandels. Es lässt sich dabei dieselbe Psychologie vermuten, wie bei der Frage nach der menschlichen Ursache des Klimawandels — ein erstaunliches Ergebnis.
Es gibt einen sichtbaren Bias hin zur mittleren Antwort (5) von elf zur Auswahl stehenden Antworten. Interessant wären Antworten auf die Frage gewesen, wie die Bevölkerung die Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweiz einschätzt.
Sorgen
Klimawandel steht bei den Sorgen um Klima oder Energie zuoberst, gefolgt von Auslandabhängigkeit, gefolgt von hohen Preisen. Vergleichsweise wenig Sorge bereiten «Stromausfälle».
Gewünschte Energieträger zur Stromversorgung
Praktisch unumstritten sind Strom aus Sonnenenergie und Wasserkraft. 80 Prozent wollen eine mittelgrosse bis sehr grosse Menge Strom aus Biomasse, noch mehr aus Wind (87 Prozent). Interessant wäre angesichts dieser hohen Anteile zu erfahren, wie sich die Schweizer Bevölkerung zu Stromimporten und ‑exporten stellt. Es wurde nicht gefragt, wo der Strom produziert werden soll. 57 Prozent wollen eine mittelgrosse bis sehr grosse Menge Strom aus Erdgas, was sich nicht mit der Sorge um Klimawandel deckt (Fig. 6) — ausser die Befragten verstehen das Klimaproblem nicht.
Nur eine Minderheit (23 Prozent) will mittel bis sehr viel ihres Strom in Atomkraftwerken produziert sehen. Etwa zur Zeit der Umfrage hat die Bevölkerung jedoch den Ausstieg aus der Atomenergie an der Urne kritisch beurteilt. Die Interpretation dieser Umfrageresultate ist schwierig, sogar was die Gegnerschaft bestimmter Formen der Stromproduktion betrifft. Nur gerade 2 Prozent geben an, gar keine Stromproduktion aus Windkraft zu wollen, aber über 40 Prozent gar keine aus Atomkraftwerken. Einfacher interpretierbar wären wahrscheinlich Antworten auf Fragen gewesen, welche Energieträger vermehrt oder weniger für die Stromproduktion eingesetzt werden sollen, als es heute der Fall ist.
Akzeptanz politischer Aktion
Die Schweizerinnen und Schweizer unterstützen politische Ansätze. Subventionen aus «öffentlichen Geldern» liegen bezüglich Beliebtheit vorn. Auch Verbote sind mehrheitsfähig, jedenfalls was neue «Haushaltsgeräte mit der schlechtesten Energieeffizienz» betrifft. (Die Befragten geben ohnehin an, praktisch keine solchen Geräte zu kaufen; vgl. Fig. 1.) Sogar die angeblich politisch unbeliebten Abgaben auf fossilen Energieträgern sind eher akzeptiert als nicht. Unglücklicherweise wurde in Deutsch nach «Brennstoffen» gefragt, wodurch unklar ist, welcher Anteil der Befragten darunter auch Treibstoffe verstand. (In Französisch war nach Steuern auf «énergies fossiles» gefragt worden.)
Die mehrheitliche Rückverteilung des CO2-Abgabenaufkommens an Bevölkerung und Unternehmen ist in der Schweiz Tatsache aber kaum wahrnehmbar. Im europaweit standardisierten Social Survey wurde diese Rückverteilung naturgemäss nicht erklärt. Dass der Fall für mehr oder höhere CO2-Abgaben in der Schweiz aussichtsreich ist, wenn die Lenkungswirkung erklärt wird, ist bereits aus einer Studie von 2017 bekannt. Würden sowohl Lenkungsfunktion wie Rückverteilung erklärt, könnte eine noch grössere Unterstützung von CO2-Abgaben erwartet werden.
Vertrauen in die Staatengemeinschaft wegen Klimawandel
Der European Social Survey stellte eine Reihe von weiteren Fragen zu Klima und Energie (vgl. Anhang). Nicht alle Resultate sind hier dargestellt und kommentiert. Schliesslich sei noch dargestellt, wie wahrscheinlich die Schweizerinnen und Schweizer eine Reaktion auf Klimawandel durch «genug Staaten» erachten.
Werden die mittleren Antworten hälftig aufgeteilt, ergibt sich knapp eine mehrheitlich positive Erwartung. Lineare Gewichtung der Aussagen ergibt hingegen ein leichtes Misstrauen. Wird die mittlere Antwort ignoriert, hält es nur eine Minderheit von 45 Prozent für wahrscheinlich, dass genug Staaten mit Massnahmen den Klimawandel «reduzieren» — was auch immer die Befragten unter «reduzieren» verstanden haben mögen. Die Befragung war durchgeführt worden, bevor die US-Regierung den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen erklärte.
Vertrauen in eine redliche Interpretation der Resultate
Die europaweiten Resultate zu Klimawandel und Energie des European Social Survey 2016 werden am 19. September 2018 in Brüssel vorgestellt. Wie sehr anders als oben dargestellt das offizielle Europa die Resultate interpretieren wird, lässt sich ahnen. Unter anderen wird Leo Barasi präsentieren. Barasi behauptet, die Leugner des Klimawandels seien eine zu ignorierende marginale Minderheit. Wie die politisch Mächtigen und darum Verantwortlichen appelliert er weiterhin an freiwillige persönliche Verhaltensänderungen zur Bewältigung der Klimakrise.
Verwandte Artikel auf klimaatelier.ch:
- Schuldinduktion, Klimaruhe, Klimaleugnung: Klimasünde Klimapredigt (Link)
- Preaching, Accusation, Guilt, Denial, Personal Greenwashing, Climate Silence: Learning from Ignaz Semmelweis for Climate Communication (Link)
! Jetzt hier Neuigkeiten von Klimaatelier abonnieren !
Referenz
(ESS 2016) European Social Survey 2016. Befragt wurden in der Schweiz in der Zeit zwischen Ende 2016 und anfangs 2017 etwa 1500 Personen. Eine Datei mit Daten für die Schweiz, die diesem Artikel zu Grunde liegen, ist hier abgelegt. Die Fragen zu Klimawandel und Energie sind im Anhang aufgelistet. Schweizer Website des ESS, europäische Website des ESS.
Anhang
Fragen zu Klima und Energie des European Social Survey
- D1 — Wenn Sie ein grosses elektrisches Haushaltsgerät kaufen müssten, wie wahrscheinlich ist es dann, dass Sie eines der energieeffizientesten Modelle wählen würden? (Fig. 1)
- D2 — Wie oft verhalten Sie sich im Alltag so, dass Sie Ihren Energieverbrauch reduzieren können? (Fig. 2)
- D3 — Insgesamt, wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie weniger Energie verbrauchen könnten als heute?
Wie viel von dem Strom, der in der Schweiz verbraucht wird, sollte aus jeder dieser Energiequellen erzeugt werden? (Fig. 7)
- D4 — Erstens, wie viel von dem Strom, der in der Schweiz verbraucht wird, sollte aus Kohle erzeugt werden? (Fig. 7)
- D5 — Und wie viel aus Erdgas? (Fig. 7)
- D6 — Und wie viel aus Wasserkraft aus Flüssen, Stauseeen und Meer? (Fig. 7)
- D7 — Wie viel von dem Strom, der in der Schweiz verbraucht wird, sollte aus Kernkraft erzeugt werden? (Fig. 7)
- D8 — Und wie viel aus Sonnenenergie? (Fig. 7)
- D9 — Und wie viel aus Windkraft? (Fig. 7)
- D10 — Und wie viel Strom sollte aus Biomasse wie Holz, Pflanzen oder Tiermist gewonnen werden? (Fig. 7)
- D11 — Wie besorgt sind Sie, dass es in der Schweiz zu Stromausfällen kommen könnte? (Fig.6)
- D12 — Wie besorgt sind Sie, dass die Energie in der Schweiz für viele zu teuer sein könnte? (Fig. 6)
- D13 — Wie besorgt sind Sie, dass die Schweiz zu abhängig von Energie-Importen aus dem Ausland sein könnte? (Fig. 6)
- D14 — Wie besorgt sind Sie, dass die Schweiz zu abhängig von Energie aus fossilen Brennstoffen wie Öl, Gas oder Kohle sein könnte?
- D15 — Wie besorgt sind Sie, dass die Energieversorgung unterbrochen werden könnte durch Naturkatastrophen oder extreme Wetterverhältnisse?
- D16 — … weil zu wenig Strom produziert wird?
- D17 — … durch technische Störungen?
- D18 — Und wie besorgt sind Sie, dass die Energieversorgung aufgrund von Terroranschlägen unterbrochen werden könnte?
- D19 — Sie haben vielleicht von der Auffassung gehört, dass sich das Klima auf der Erde verändert, weil die Temperaturen über die letzten 100 Jahre gestiegen sind. Was ist Ihre persönliche Meinung dazu? Denken Sie, dass sich das globale Klima gegenwärtig verändert? (Fig. 3)
- (D20 — Wie viel haben Sie vor unserem Gespräch über den Klimawandel nachgedacht?; Gleiche Frage wie D21)
- D21 — Wie viel haben Sie vor unserem Gespräch über den Klimawandel nachgedacht?
- D22 — Denken Sie, dass der Klimawandel durch natürliche Prozesse, durch menschliches Handeln oder durch beides verursacht wird? (Fig. 4)
- D23 — Wie sehr fühlen Sie sich persönlich verantwortlich, einen Beitrag zu leisten, damit der Klimawandel reduziert wird? (Fig. 1)
- D24 — Wie besorgt sind Sie über den Klimawandel? (Fig. 6)
- D25 — Wie gut oder schlecht wird sich der Klimawandel Ihrer Meinung nach auf die Menschen weltweit auswirken? (Fig. 5)
- D26 — Stellen Sie sich jetzt vor, dass eine grosse Anzahl an Menschen ihren Energieverbrauch einschränken würde. Wie wahrscheinlich ist es Ihrer Meinung nach, dass man so den Klimawandel reduzieren könnte?
- D27 — Wie wahrscheinlich ist es Ihrer Meinung nach, dass eine grosse Anzahl an Menschen ihren Energieverbrauch tatsächlich einschränken im Versuch, den Klimawandel zu reduzieren? (Fig. 1)
- D28 — Und wie wahrscheinlich ist es Ihrer Meinung nach, dass genug Staaten Massnahmen ergreifen, um den Klimawandel zu reduzieren? (Fig. 10)
- D29 — Wie wahrscheinlich ist es Ihrer Meinung nach, dass Einschränkungen bei Ihrem eigenen Energieverbrauch helfen könnten, den Klimawandel zu reduzieren? (Fig. 1)
Wie sehr sind Sie dafür oder dagegen, dass in der Schweiz die folgenden Massnahmen zur Reduktion des Klimawandels ergriffen werden? (Fig. 8)
- D30 — Erhöhung der Abgaben auf fossile Brennstoffe wie Öl, Gas und Kohle. (Fig. 8, Fig. 9)
- D31 — Verwendung von öffentlichen Geldern zur Förderung von erneuerbaren Energiequellen wie Wind- oder Sonnenenergie. (Fig. 8)
- D32 — Ein gesetzliches Verbot für den Verkauf von Haushaltsgeräten mit der schlechtesten Energieeffizienz. (Fig. 8)