«Netto null THG Emissionen im Inland bis 2030 ohne Einplanung von Kompensationstechnologien» heisst die zweite Forderung der Schweizer Klimastreiker*innen. Um das Ziel zu erreichen, muss zuerst die Herausforderung verstanden werden. Und für die Lösung müssen Scheuklappen abgelegt werden.
Es braucht tatsächlich eine sehr viel schnellere Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen (THG), als üblicherweise behauptet wird.
CO2-Emissionen müssen schneller sinken als IPCC und UNO kolportieren | Artikel auf klimaatelier.ch
Der Schulstreikbewegung gebührt Dank dafür, diese Notwendigkeit hervorzuheben.
Zwischen den verschiedenen Treibhausgasen unterscheiden
Es muss zwischen CO2 und den kurzlebigeren Treibhausgasen unterschieden werden. Netto null Emissionen aller Treibhausgase ist nicht schnell notwendig — oder gar nicht, nicht einzeln und auch nicht insgesamt.
Weil CO2 in der Atmosphäre kumuliert, müssen die Emissionen dieses Treibhausgases hingegen sehr dringend ‹Netto-Null› erreichen. Die globale Temperaturerhöhung hängt direkt mit den gesamten, kumulierten CO2-Emissionen zusammen. Es gibt darum ein CO2-Restbudget. Die Emissionen von Methan und Lachgas müssen ohne Verzögerung wesentlich zurückgehen, andernfalls das CO2-Restbudget zu klein ist, um den nötigen Umbau der Energiewirtschaft zu erreichen.
Ein Netto-Null bis 2030 für alle Treibhausgase insgesamt ist dennoch eine gute Zielsetzung, aber es ist ein hoher Anspruch. Es gibt nicht viele Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen.
Mit billigen Ersatzhandlungen werden wir das Klima jedenfalls nicht retten.
Keine Auslandkompensation!
Mit ihrem längerfristig ohnehin unhaltbaren Wunsch auf Auslandkompensation und ihren diesbezüglichen Bemühungen in der UNO Klimarahmenkonvention untergräbt die Schweiz das Funktionieren des globalen Klimaschutzes nach dem Konzept des Abkommens von Paris.
Die Möglichkeit der Auslandkompensation schafft bei den potenziellen Empfängerländern einen perversen Anreiz. Die Aussicht auf Kompensationszahlungen erhöht das Interesse dieser Länder, ihre im Rahmen des Pariser Abkommens gemachten Reduktionsversprechen bescheiden zu halten, um sie anschliessend, zwecks Erhalt von Kompensationszahlungen, leichter übererfüllen zu können. Es ist eigentlich eine Trivialität, dass die Auslandkompensation einen die deklarierte Absicht ins Gegenteil verkehrenden (darum ‹perversen›) Anreiz schafft.
Es wäre wichtig, dieses Problem zu erkennen und zu benennen. Es wird jedoch kaum thematisiert (nach Wahrnehmung des Schreibenden in der Schweiz gar nicht). Auslandkompensation dient nicht der internationalen Klimagerechtigkeit. Langfristig steht die Auslandkompensation sogar den Interessen der potenziellen Empfängerländer entgegen — den Interessen der Schweiz auch.
Sowieso ist Auslandkompensation ein absurder Ansatz, wenn alle Länder schnell ‹Netto-Null› erreichen sollen.
In der Forderung der Klimastreikbewegung steht der Zusatz «im Inland ohne Einplanung von Kompensationstechnologien». Die Formulierung ist ziemlich geglückt aber unklar. Auslandkompensation ist abzulehnen, soweit so gut.
Es ist auch richtig und wichtig, die Spekulation auf netto negative Treibhausgasemissionen zu verurteilen, den ‹Generationenbetrug›, die Behauptung, es könnten in Jahrzehnten Dutzende bis Hunderte von Millionen Tonnen CO2 netto aus der Luft entfernt werden («Einplanung» von Kompensationstechnologien); die Szenarien des IPCC für 1,5 Grad Temperaturerhöhung gehen alle davon aus.
CO2-Entfernung schnell und richtig
Es ist jedoch absurd und schädlich, die zeitnahe, rein technische CO2-Entfernung aus der Luft zu ignorieren, herunterzuspielen oder diese Möglichkeit sogar explizit auszuschliessen, wie es oft gemacht wird und in der Erklärung auf klimacharta.ch gemacht wurde.
Die CO2-Entfernung aus der Luft ist notwendig und da | Artikel auf klimaatelier.ch
Die zeitnahe, rein technische CO2-Entfernung sollte sogar mit Vehemenz gefordert und vorangetrieben werden, denn das Ziel von netto null Treibhausgasemissionen ist ohne technische CO2-Entnahme aus der Luft nicht realistisch erreichbar. Dieser ‹Handabdruck› ist darum dringend erforderlich.
Keine Spekulation auf netto negative Emissionen, sondern CO2-Entfernung jetzt! | Artikel auf klimaatelier.ch
Bäume sind schön, aber keine Problemlösung
Die natürlichen, biologischen Speicher reichen für ein schnelles Netto-Null selbst dann nicht aus, wenn alle Treibhausgasemissionen extrem reduziert und die biologische Speicherkapazität maximiert würden. Aufforstung und verwandte Massnahmen genügen kurzfristig- oder mittelfristig nicht mit Vernunft für die CO2-Entfernung, auf die Dauer sowieso nicht, weil irgendwann nicht mehr weiter aufgeforstet werden kann. (Wälder sind keine CO2-Senken. Sie sind bescheidene CO2-Speicher, die zwar gefüllt werden können, jedoch irgendwann voll sind und auch wieder entleert werden können.)
Glücklicherweise hat Stefan Rahmstorf die Fehlbehauptungen richtig gestellt, die ETH-Forscher kürzlich über das Potenzial von Bäumen in die Welt gesetzt haben. Die biologische Speicherkapazität ist ganz einfach zu klein. Wälder kühlen das Klima längst nicht überall. Auch ist die Speicherung von Kohlenstoff in Biomasse nicht dauerhaft sicher, sowieso nicht überall, auch nicht in Holzkohle.
Es müsste rund die Fläche der Schweiz aufgeforstet werden, um alle Treibhausgasemissionen des Landes zu kompensieren. Wäre der Wald abschliessend gewachsen, müsste erneut eine Landesfläche aufgeforstet werden, und so weiter. Ein kleines und reiches Land wie die Schweiz könnte dies zum Beispiel eine Weile lang in Brasilien tun, auf das Risiko hin, eine Zeitbombe anzulegen. Nicht die Schweiz, sondern Brasilien entscheidet jedoch letztlich über die Wiederaufforstung dortzulande und der Trend geht in die andere Richtung — bis auf Weiteres unablässig.
Kurzfristig könnte und sollte die Schweiz dennoch alles in ihrer Macht stehende tun, um die weitere Zerstörung der biologisch wertvollen und kühlenden Wälder in den Tropen zu verhindern. (Dies wäre auch ohne Klimawandel ein richtiges und wichtiges Gebot und sollte nicht als Massnahme für nachhaltigen Klimaschutz betrachtet werden.)
Auch auf die CO2-Abscheidung aus Abgasströmen von Kraftwerken, grossen Industrieanlagen und der Abfallverbrennung kann und soll nicht verzichtet werden. Diese CO2-Abscheidung ist viel kostengünstiger als die CO2-Entfernung aus der Luft. Sie kostet aktuell 30 bis 60 Franken pro Tonne CO2 , ist also (zur Zeit) 10 bis 20 mal kostengünstiger als die CO2-Filterung aus der Luft.
Zwischen den rein biologischen Ansätzen wie Aufforstung und den rein technischen Ansätzen wie CO2-Entfernung mit entweder Sequestrierung oder Synfuels sind biologische Treib- und Brennstoffe (Biofuels) angesiedelt. Und es gibt einen ganzen Strauss von Verfahren, die als BECCS bezeichnet werden, bei denen über den Weg der Biomasse sowohl CO2 als auch Energie gewonnen werden (Bio, Energy, Carbon, Capture, Sequestration); mehr dazu hier.
Diese Ansätze, die auf biologische CO2-Filterung setzen, können einen erheblichen Beitrag leisten und sollten nicht ignoriert werden. Selbst eine gute Kombination von Aufforstung, Biofuels und BECCS reicht jedoch für ein Netto-Null nicht aus. Wenn übertrieben oder schlecht gemacht, könnte mit dem Versuch der Schuss leicht hinten hinausgehen. Natur würde zerstört statt geschützt.
Es braucht die technische Filterung von CO2 aus der Luft. Ob die CO2-Sequestrierung zugelassen werden soll (oder ob synthetische Energieträger, Synfuels, eine Energieversorgung mit sauberem Strom ergänzen sollen) ist sehr viel mehr als Geschmacksache — wie schon in einem anderen Artikel dieser Serie erklärt ist (Jumplink).
Weder CO2-Entfernung aus Abgasen noch aus der Luft; weder Sequestrierung noch Synfuels sind das Ziel der Anstrengung. Ziel ist das schnelle Netto-Null der Treibhausgasemissionen zu erträglichen Kosten bei Vermeidung sozialer Ungerechtigkeit, das alles vorbildlich und übertragbar, also nachahmungsfähig.
Wie die einfachen Regeln sein müssen, um die 2030-Forderung vorbildlich, zeitgerecht, kostengünstig und übertragbar umzusetzen, ist im (folgenden) Beitrag über ‹Klimagerechtigkeit› beschrieben.
Sozial gerecht ist die im Folgebeitrag beschriebene Lösung erstens durch die Rückverteilung des grössten Teils der hohen CO2-Abgabe — und zweitens weil die Gesamtkosten trotz einer grossen Anstrengung vertretbar sind.
Kostengünstig ist die im Folgebeitrag beschriebene Lösung, weil das wichtigste und dringlichste Ziel ohne Umwege oder Ersatzhandlungen frontal angegangen wird: Netto null CO2-Emissionen.
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