«Klimagerechtigkeit» heisst die dritte Forderung der Schweizer Klimastreiker*innen. Die grösste Klima-Ungerechtigkeit wird geschaffen, wenn das CO2-Problem zu lange ungelöst bleibt. In diesem Beitrag wird beschrieben, wie es trotz aller Herausforderung noch gelöst werden könnte und wie sogar das Ziel von netto null Treibhausgasemissionen in der Schweiz in kurzer Zeit erreicht werden könnte.
Die drei Ungerechtigkeiten
Eine Klima-Ungerechtigkeiten besteht zwischen arm und reich. Noch mehr ist die globale Temperaturerhöhung eine Generationen-Ungerechtigkeit und sogar noch mehr ist sie eine Ungerechtigkeit der Menschen gegenüber der Natur.
Die Ungerechtigkeit gegenüber der Natur ist gravierender als die anderen Klima-Ungerechtigkeiten, denn die jungen Menschen können sich offenbar mindestens Gehör verschaffen. (Die besonders betroffenen aber oft materiell benachteiligten Länder könnten sich auch Gehör verschaffen, verzichten aber seltsamerweise weitgehend darauf. Eher machen sie die hohle Hand.)
Die gute Methode, diesen drei Ungerechtigkeiten zu begegnen, besteht sicher nicht in Ausgleichszahlungen oder dergleichen. Die gute Methode, um die Ungerechtigkeiten zu vermeiden, so gut es noch geht, ist ganz einfach, Klimawandel zu vermeiden — so gut es noch geht.
Das Verursacherprinzip anwenden
Die Bundesverfassung schreibt den Schutz der Umwelt und die Anwendung des Verursacherprinzips zu diesem Zweck bereits vor. Es müsste also nur die Bundesverfassung respektiert werden.
Weil es nun (ziemlich neu) die Möglichkeit der rein technischen CO2-Entfernung aus der Luft gibt und sie sogar zu bereits erträglichen Kosten realisiert werden kann, ist die konsequente Umsetzung des Verursacherprinzips nun (erst) praktisch möglich und weiterer, sehr signifikanter Klimawandel vermeidbar geworden.
Die CO2-Entfernung aus der Luft ist notwendig und da | Artikel auf klimaatelier.ch
Damit wären weitere Klima-Ungerechtigkeiten vermeidbar, sogar erstaunlich einfach und kostengünstig vermeidbar.
Dafür ist einfach (einfach!) eine CO2-Abgabe in mindestens in der Höhe der Kosten der rein technischen CO2-Entfernung nötig. ‹Netto-Null› plus Verursacherprinzip bedeutet unumgänglich genau dies. Unterlassen die Gesetzgeber*innen weiterhin, eine CO2-Abgabe auf mindestens diesem Niveau zu erheben, missachten sie die Bundesverfassung.
Basierend auf den in vorhergehenden Beiträgen dargestellten Überlegungen folgt eine Liste der Regeln, mit denen das geforderte Netto-Null an Treibhausgasemissionen schnell erreicht werden kann.
Die Regeln
Eine gerechte und kostengünstige Lösung für die Schweiz, die von jedem einzelnen, vielen oder allen Ländern der Welt umgesetzt werden könnte, funktioniert so:
- Die CO2-Abgabe wird (weiterhin) bei Importen oder an der Quelle erhoben. Neu wird sie auf alles CO2 gleichermassen erhoben, einschliesslich auf CO2 aus der Zementherstellung und bei der Nutzung von Kohle, Erdölderivaten oder Erdgas für andere Zwecke als Energie (Kunststoffe). (Ein spezieller Abgabesatz drängt sich einzig für die Luftfahrt auf, wie weiter unten erörtert wird.) Die CO2-Abgabe steigt in wenigen Jahren auf mindestens 300 Franken pro Tonne, wahrscheinlich deutlich höher, jedenfalls schnell auf mindestens die Höhe der Kosten der technischen CO2-Entfernung aus der Luft. (Sie kostet im Moment rund 650 Franken pro Tonne, bei industrieller Umsetzung rund 200 Franken pro Tonne. Letzteres entspricht rund 50 Rappen pro Liter Benzin, Heizöl oder Kerosin.) Über die jeweils nächsten (z. B.) fünf Jahre ist die Höhe der CO2-Abgabe festgelegt und über diesen Zeitraum unveränderlich. Über die Höhe (in dann jeweils z. B. sechs Jahren) wird jährlich entschieden. Zusätzlich wird die CO2-Abgabe automatisch erhöht, wenn die Preise von fossilen Energieträgern sinken, wodurch die Lenkungswirkung der CO2-Abgabe gesichert bleibt. Grundsätzlich werden die Erträge aus der Abgabe gleichberechtigt an die Einwohner*innen der Schweiz rückverteilt (Ökobonus).
— - Beginnend schon im ersten Jahr wird jedoch ein zunehmender Anteil der Einnahmen aus der CO2-Abgabe für die CO2-Entfernung so eingesetzt, dass das Ziel von netto null Treibhausgasemissionen des Landes im Zieljahr erreicht wird. Das entfernte CO2 muss entweder aus Anlagen im Inland stammen oder aus der Luft. Abgesehen davon ist es unerheblich, wo die CO2-Entfernung stattfindet, wo das CO2 aus der Luft gefiltert wird und ob die Einlagerung im In- oder Ausland geschieht. Allerdings ist der Geographie (Transporte) und der Geologie (günstige und langfristig sichere Einlagerung) Rechnung zu tragen. Um die CO2-Abscheidung aus Kaminen (etc.) oder die CO2-Entfernung aus der Luft ohne Verzug anzuregen, können anfangs verschiedene Tarife ausgerichtet werden. Diese Tarife sollten sich aber bald angleichen — auch wenn die Kosten der CO2-Entfernung aus der Luft bleibend viel höher sind als die Kosten der CO2-Abscheidung aus Abgasströmen. Bezahlt wird in beiden Fällen für die sicher im Untergrund sequestrierte Menge CO2. Da die Schweiz bezahlt, kann sie entscheiden, wie die Filterung von CO2 aus der Luft geschieht, einschliesslich mit welcher Energie, oder wie die Sequestrierung (Wegsperrung, bleibende Speicherung) von aus der Luft gewonnenem CO2 stattfindet, auch wenn die CO2-Filterung oder die CO2-Sequestrierung im Ausland erfolgt.
— - Analoge Abgaben werden auf Emissionen anderer Treibhausgase erhoben, ebenfalls möglichst nahe an der Quelle, ebenfalls prinzipiell mit Rückverteilung. Ein zunehmender Anteil des Aufkommens wird auch für die CO2-Entfernung eingesetzt, mit dem Ziel, ausreichend schnell insgesamt null Treibhausgasemissionen zu erreichen.
— - Es gibt Grenzausgleich betreffend grauem CO2 , also CO2 , das bei der Produktion des importierten Guts entstand — also Zollabgaben beim Import von ‹grauem› CO2 . Dasselbe sollte es auch bei ‹grauen› Emissionen anderer Treibhausgase geben. Grenzausgleich bedeutet auch Rückvergütung bei Exporten. Die Überschüsse aus dem Grenzausgleich werden vollständig an die Bevölkerung rückverteilt. Die Rückverteilung dieses Anteils der CO2-Abgabe erfolgt nur an natürliche Personen. Vorausgesetzt, die Abgabenhöhe stimmt, ist das Abgabenaufkommen aus dem Grenzausgleich viel höher als das Aufkommen aus CO2-Abgaben für Emissionen im Inland — und die Rückverteilung ist entsprechend hoch, mit positiver Wirkung für Menschen mit unterdurchschnittlichen Einkommen. Soweit wie möglich sollten auf Importe erhobene CO2-Abgaben entsprechend des Herkunftslandes erhoben werden, also zum Beispiel anhand der Zusammensetzung der Stromproduktion in der EU, nicht aufgrund eines Labels nach Produktionsart (Ökostrom, erneuerbarer Strom, Strom aus Kohle- oder aus Windkraftwerken, etc.). Es sollen nicht Deklarationen (Labels, Zertifikate) für sauberen Strom abgegraben, sondern es soll die saubere Produktion im Ausland angeregt werden. (Es ist wahr, dass Grenzausgleich ein komplexes, heikles und aufwändiges Unterfangen ist. Auf die Fehlbehauptung, Grenzausgleich sei unmöglich, sollte jedoch verzichtet werden.) Grenzausgleich berücksichtigt das Problem der ‹grauen› Emissionen im Ausland ausreichend. Diese ‹grauen› Emissionen werden durch den Grenzausgleich reduziert, weil Importe verteuert werden. Die Auslagerung von Treibhausgasemissionen ins Ausland (‹Carbon Leakage›) wird unattraktiv und verhindert.
— - Anfangs kann die Rückverteilung der Abgaben auf inländische Emissionen ausser an natürliche auch an juristische Personen erfolgen, wie es bereits der Fall ist. Nach einer Einführungsphase soll der Einnahmeüberschuss aus Gründen der Gerechtigkeit ausschliesslich an natürliche Personen rückverteilt werden. (Eine gerechtere Methode für die Bewältigung der Klimakrise als gezielte Abgaben mit Rückverteilung pro Kopf — eine Schweizer Erfindung — dürfte kaum zu erfinden sein! Die Staatsquotenneutralität, eine wichtige Stärke des Ökobonus gegenüber Lenkungssteuern, kommt bei diesem Vorschlag deutlich zu tragen: Der Staatshaushalt bleibt auch dann unberührt, wenn das Netto-Abgabenaufkommen stark steigt oder rasant sink, etwa wenn das Aufkommen schnell zunehmend für die Sequestrierung ausgegeben statt rückverteilt wird.) Da die Höhe der Abgabe für inländische Treibhausgasemissionen die Kosten der CO2-Entfernung übertrifft, führen auch diese Abgaben (mehrheitlich erhoben beim Import fossiler Energieträger) zu Rückverteilung, also zu einem Ökobonus. Der Einnahmeüberschuss aus dem Grenzausgleich soll bewusst nicht für die CO2-Entfernung eingesetzt werden. Die Eliminierung von Treibhausgasemissionen im Ausland ist durch politische Entscheidungen im Ausland zu erreichen, Entscheide, welche die Schweiz durch Diplomatie beeinflussen sollte — und als Vorbild. Die Entfernung von ausländischen Emissionen auf Kosten der Schweiz, durch CO2-Entfernung aus den Überschüssen des Grenzausgleichs, würde im Ausland einen unerwünschten perversen Anreiz schaffen — die Schweiz würde teuer die Emissionen anderer Länder aus der Luft entfernen, welche diese Länder kostengünstiger vermeiden könnten. Der Grenzausgleich verursacht Knappheitskosten in der Schweiz. Es ist darum richtig, die entsprechende Knappheitsrente vollständig in der Schweiz (zurück) zu verteilen.
— - Um den CO2-Emissionen des Luftverkehrs beizukommen, aber das Problem von ‹Carbon-Leakage› (das Verschieben von Abflügen und damit CO2-Emissionen ins Ausland) in diesem Bereich zu berücksichtigen, steht an erster Stelle eine Abgabe auf fossilem Kerosin mit ihrem eigenen Satz. (Im Widerspruch zu den üblichen Behauptungen kann eine solche Abgabe trotz bestehender internationaler Vereinbarungen erhoben werden. Im Gegensatz zu Ticketabgaben wirkt die Abgabe auf Kerosin auf fast allen Stufen der Erzeugungskette lenkend; zum Beispiel auf die Effizienzverbesserung von Triebwerken und Flugzeugen.) Zusätzlich sollten Flugticketabgaben erhoben werden, jedoch nur für kürzere Strecken (um das Carbon-Leakage Problem bei Langstreckenflügen nicht zu akzentuieren). Eine für die geplante Flugstrecke geeignete Betankung sollte bei Abflügen aus der Schweiz verlangt werden. Dem Carbon-Leakage Problem soll ausserdem durch internationale Verhandlungen begegnet werden.
— - Die Einkünfte aus der Flugticketabgabe können eingesetzt werden, um die Restemissionen des Luftverkehrs durch CO2-Entfernung aus der Luft auszugleichen. Zu diesem Zweck können zusätzlich auch Mittel aus dem allgemeinen Staatshaushalt eingesetzt werden. Möglichst schnell soll es international koordinierte Regeln geben, so dass auch im Flugverkehr die Verursacher die ganzen Kosten tragen.
— - Zur Verhinderung von sogenanntem Tanktourismus kann verlangt werden, dass alle Fahrzeuge (Autos und Lastwagen) das Land vollbetankt verlassen. Internationale Pendler fahren mit Vorteil elektrisch. Tanktourismus ist kein gültiges Argument gegen eine CO2-Abgabe auf Treibstoffe!
Die CO2-Abgabe schliesst andere Instrumente (z. B. Verbote) nicht aus. Einzig Mengensteuerung (Rationierung mit weissem Markt) würde der CO2-Abgabe als zentrales Instrument in die Quere kommen.
Andere Massnahmen und Instrumente sind in den oben vorgeschlagenen Regeln, die sich auf die Handlungskompetenz auf Bundesebene konzentrieren, nicht erwähnt, sind aber nicht ausgeschlossen. Es sei an den Handlungsspielraum von Gemeinden und Kantonen gedacht: Aufforstung; verbesserte Siedlungsplanung; kommunale Biomassenutzung; Wärmenetze; Anergienetze; Effizienznormen; Stromversorgungsinfrastruktur, einschliesslich für elektrisch angetriebene Fahrzeuge; Priorisierung von klimafreundlichem gegenüber klimaschädlichem Verkehr im öffentlichen Raum; Priorisierung von CO2-frei produziertem Strom bei der Einspeiseberechtigung, etc.
Der Vorschlag beschreibt das Kernprinzip. Er beschreibt nicht, was optional zusätzlich beschlossen werden könnte, sowieso nicht die Details. Das Kernprinzip ist: Das CO2-Problem wird gezielt adressiert. Das Netto-Null der Treibhausgasemissionen wird durch die Entfernung von Restemissionen termingerecht realisiert.
Auf Ersatzhandlungen wie die teure und ungerechte Subventionen für spezifische Alternativen oder staatliche Prestigeprojekte wird verzichtet.
Auf potenziell katastrophale Regeln, die auf eine Schrumpfung der wirtschaftlichen Aktivitäten abzielen, wird auch verzichtet.
Auch wenn es vielleicht vordergründig nicht den Anschein macht, dieser Vorschlag setzt nur am Rand auf den Einsatz von Technologie. Er setzt primär auf Substitution, Effizienz und auf etwas Suffizienz.
Er setzt in keiner Weise auf den ‹Generationenbetrug›, die netto CO2-Entfernung aus der Atmosphäre — mit Biomasse oder Technologie — durch die heute jungen Menschen oder spätere Generationen.
Dieser Vorschlag ist vorbildlich und allgemein nachahmungsfähig. Jedes einzelne Land der Welt könnte diesen Plan umsetzen. Oder viele Länder könnten es tun oder alle Länder könnten es gleichzeitig tun, was viel einfacher wäre — worüber die Schweiz aber nicht befinden kann. Pläne, die wesentlich zum Beispiel Aufforstung oder andere Massnahmen im Ausland beinhalten, genügen diesem Anspruch nicht.
Kosten
Die Kosten der CO2-Entfernung wären erstaunlich überschaubar. Müssten zum Beispiel im Jahr 2030 zwölf Millionen Tonnen CO2-aus der Luft und aus Abgasströmen entfernt werden (also ein Viertel der aktuellen Emissionen in CO2-Äquivalenten) und geschieht dies für 200 Franken pro Tonne, kostet die CO2-Entfernung dann (im Jahr 2030) 2,5 Milliarden Franken. Selbst wenn bei sehr pessimistischen Annahmen noch die Hälfte der heutigen Emissionen für 300 Franken aus der Luft entfernt werden müssten, wären die resultierenden 7,2 Milliarden für die Schweiz zu verkraften. (Das Bruttoinlandprodukt der Schweiz beträgt rund 700 Milliarden Franken. Die Schweiz gibt jährlich rund 10 Milliarden Franken für den Import fossiler Energieträger aus.)
Zusätzliche Vermeidungskosten wären besonders in den Jahren bis zum Netto-Null-Jahr erheblich. Der grösste Teil davon wären allerdings nahezu rentable Investitionen (Kraftwerke, Effizienzsteigerung) oder Ersatzbeschaffungen, die geringe Mehrkosten verursachen oder sogar mehr Ersparnis bringen als Kosten (Wärmepumpen, Fahrzeuge) weil landesweit jährlich fünf bis zehn Milliarden Franken weniger für fossile Energieträger ausgegeben würden. Preisinduzierter Verzicht kostet nicht, sondern spart ein.
Die Gesamtkosten wären vertretbar. Sie lägen weit unterhalb der Kosten des gesamtgesellschaftlich sinnlosen Statuskonsums. (Ein erheblicher Teil der Schweizer Wirtschaftsleistung endet in reinem Luxuskonsum; Yves Saint Laurent, Porsche Cayenne, Ferienflüge nach Thailand, etc.) Würde intelligent und in erheblichem Umfang auch in Forschung und Entwicklung investiert, könnte die Auswirkung eines schnellen Netto-Null bis 2030 auf die volkswirtschaftliche Gesamtbilanz bescheiden sein, mittel- bis längerfristig sogar positiv ausfallen.
Werden die CO2-Abgabe und der Tarif für die Sequestrierung optimal gestaltet, wird das ‹Netto-Null› Ziel mit minimierten Gesamtkosten erreicht. Ist die Abgabe zu hoch, sind die Vermeidungskosten unnötig hoch, ist sie zu klein, muss mit hohen Tarifen suboptimal viel Geld für die Sequestrierung ausgegeben werden, um das Ziel zu erreichen. Die Abgabe kann hoch gehalten werden, um die echte Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft (mit teuren synthetischen Energieträgern) zu fördern. Damit würde das Kostenminimum bewusst verlassen.
Dieser Vorschlag ist darum beim Kostenminimum, weil er alle Akteure dazu veranlasst, im eigenen Interesse das Klima mit minimalem Aufwand zu schützen. Und er ist beim Kostenminimum, weil die unverzichtbare und mit Abstand kostengünstigste Option für das Erreichen von Netto-Null rechtzeitig in ausreichendem Mass aktiviert wird: Die Sequestrierung von CO2 . Alle Pläne, die auf CO2-Sequestrierung verzichten (Verbot von fossiler Energie), sind sehr viel teurer, aber für die Zielerreichung wenig plausibel — und ungerecht. Dieser Vorschlag ist jedoch auch darum nahe am Kostenminimum, weil mit ihm die Menge des sequestrierten CO2 für minimale Gesamtkosten optimiert werden kann.
Viel Elektrizität! Wie?
Die Umsetzung des Vorschlags würde eine Verschiebung von fossiler zu elektrischer Energie bewirken. Diese elektrische statt fossile Energie muss irgendwo (beinahe irgendwo!) produziert werden. Dazu könnten optional (optional!) gezielt Sonnen-, Wind- oder Geothermiekraftwerke gebaut werden, entweder in der Schweiz oder ausserhalb. Diese Kraftwerke könnten staatlich finanziert werden. Das muss aber nicht sein. Aufgrund der in der Schweiz erhöhten Strompreise haben Private und privatwirtschaftliche Unternehmen einen hohen Investitionsanreiz. Erhöht wären die Strompreise durch die CO2-Abgaben, den Grenzausgleich und gegebenenfalls durch Zusatzabgaben auf Atom- oder Wasserkraftwerken (wie weiter unten vorgeschlagen).
Wie viel CO2-freier Strom im Inland produziert wird, sollte nicht aufgrund eines diffusen bis romantischen Wunsches nach Energieautarkie entschieden werden. Dafür ausschlaggebend sollten, neben volkswirtschaftlichen Erwägungen, Risikoüberlegungen betreffend der Versorgungslage in extremen Notlagen sein, Situationen also, wenn von keinem der Nachbarländer Strom in ausreichender Menge geliefert wird.
Natürlich könnten auch spezielle Anreize für die Stromproduktion im Inland geschaffen werden. Solche Anreize sind beliebt. Aber sie sind ungerecht und teuer. Gibt es angemessenen Grenzausgleich, sind ‹spezielle Anreize› fast mit Sicherheit unnötig, denn mit der sauberen Produktion von Strom im Inland liesse sich ausreichend Geld verdienen bzw. sparen. Werden dennoch spezielle Anreize geschaffen, sollten es relativ faire Einspeisevergütungen sein. Diese ‹speziellen Anreize› wären nur wegen allenfalls Bedenken betreffend der Versorgungssicherheit in Notlagen gerechtfertigt. Abhängig von der Höhe des Grenzausgleichs und der Entwicklung in anderen Ländern könnten sich sogar vorübergehend Sonderabgaben aufdrängen, um den Bau von Wind-, Geothermie- oder Sonnenenergieanlagen in der Schweiz zu bremsen.
Schweizer Energieunternehmen können im Ausland investieren, wo die Sonne eher scheint oder der Wind regelmässiger und stärker weht als hierzulande. (Sie haben in besseren Zeiten bereits im Ausland investiert, sogar in gigantischem Ausmass, allerdings stark überwiegend in Atom-, Gas- und Kohlekraftwerke.) Ob dank Investitionen aus der Schweiz im Ausland produzierter Strom in der Schweiz ankommt, ist völlig unerheblich — ausser eben in extremen Notsituationen.
Die hohe CO2-Abgabe und der Grenzausgleich, und als Folge davon der Mehrverbrauch von elektrischer Energie, würden inländische Wasser- und Atomkraftwerke sehr viel rentabler machen. Es drängt sich eine (ohnehin längst überfällige) Risikoprämie für Atomkraftwerke auf und eine Abgabe auf Wasserkraft, als Ergänzung oder als Ersatz der kantonalen und kommunalen Wasserzinsen. Die AKW-Risikoprämie und die Wasserkraftabgabe sollten durch den Bund erhoben werden und die Erträge sollten vollständig als Ökobonus an die Bevölkerung pro Kopf rückverteilt werden. Dadurch würde die Verschwendung von elektrischer Energie vermieden und die Knappheitsrente fair verteilt. Eine Rückvergütung dieser Abgaben bei Exporten sollte unter Umständen erwogen werden — abhängig von der Situation im Ausland, wie immer bei Grenzausgleich. Auf die Nutzung der Windkraft sollte eine angemessene Lizenzgebühr erhoben und als Ökobonus pro Kopf rückverteilt werden. (Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, mit den oben vorgeschlagenen Regeln wäre es auch sinnvoll.)
Eine Abgabe für die Nutzung oder den Import von Biomasse für die Energieumwandlung dürfte sich auch aufdrängen. Noch besser wäre natürlich eine Landnutzungsabgabe, wodurch Aufforstung indirekt aber korrekt gefördert würde, wenn aufgeforstete, ungenutzte Flächen keine Abgabe bezahlen müssen. (Davon sind wir jedoch weit entfernt. Träumen ist jedoch nicht verboten, wie im nächsten Beitrag angedeutet ist.)
Mit den vorgeschlagenen Regeln würde sehr bald sehr viel Strom CO2-frei produziert, davon wahrscheinlich eher zu viel im Inland als zu wenig.
Konklusionen
Mit Regeln, wie sie oben beschrieben sind, kann die 2030-Forderung gerecht, sicher, erstaunlich kostengünstig und vollständig umgesetzt werden. Kostengünstig — nahezu optimal kostengünstig — wäre die Regelung unter anderem, weil die Nachteile zu einem erheblichen Teil dort anfallen, wo sie anfallen sollen: Bei den Lieferanten fossiler Energieträger, darunter die Profiteure des OPEC-Kartells. Ein grosser Teil des Aufwands für netto null CO2-Emissionen wird durch Einsparungen bei den fossilen Energieträgern aufgehoben.
Ganz gratis ist Klimaschutz aber nicht zu haben, besonders, wenn es schnell gehen muss. Schnell gehen muss es nun, weil bisher getrödelt und auf Zeit gespielt wurde – und weil schnell in die Zukunft investiert werden muss.
Ohne bahnbrechende, nachahmenswerte aber zuerst durch Vorreiternationen umzusetzende Regelungen — wie oben beschrieben — wird es den heute jungen Menschen, deren Kindern, Enkeln und Urenkeln nicht möglich sein, die globale Temperaturerhöhung auf ein vernünftiges Mass zu beschränken.
Das CO2-Problem wird ohne effektive und vorbildliche Gesetzgebung allzu lange ungelöst bleiben und die Klimakrise wird viel Leben zerstören — eine Tragödie von noch unvorstellbarem Ausmass.
Den zukünftigen Generationen werden die Kosten für Anpassung und die Schäden des Klimawandels überlassen. Es ist eine Generationenungerechtigkeit von auch noch unvorstellbarem Ausmass.
Zusätzliche Feststellungen zum oben dargestellten Vorschlag gibt es in einem früheren Artikel auf klimaatelier.ch:
CO2-Emissionen müssen schneller sinken als IPCC und UNO kolportieren | Artikel auf klimaatelier.ch
Dies war der vierte von fünf Beiträgen zu den Forderungen der Schweizer Klimastreikbewegung. Die vorausgehenden drei Beiträge (1, 2, 3) sind in wesentlichen Teilen Einleitungen zu diesem Beitrag. Der folgende, fünfte Beitrag behandelt die bedingte Forderung ‹Systemwandel›.
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