Immer mehr setzt sich die bezüglich Klimaschutz vielleicht wichtigste Erkenntnis durch: Es gibt sehr viel mehr Kohle, Gas und Erdöl, als das Klima verkraftet. Diese Erkenntnis ist die Grundlage der Carbon Bubble Hypothese und damit der Ausgangspunkt der Divestment-Kampagne, die primär den grössten Firmen des fossilen Energiesektors Finanzen entziehen will. Trotz sinkender Preise für Kohle, Öl und Gas ist der Peak-Hype, die Behauptung, die fossilen Energieträger seien knapp, noch nicht vorbei.
„Aber selbst wenn es sich später erweisen würde, dass das Klima sich gar nicht erwärmte, wäre es gut, knappe Ressourcen wie Erdöl nur schonend zu verbrauchen“, bemerkt Kuno Roth in seinem Blog-Artikel «Mikado und Monopoly statt Klimaschutz», wo er darüber schreibt, warum es bei den internationalen Klimaverhandlungen in Lima klemmt.
CO2-Ausstoss beim Verbrennen der Reserven von fossilen Energieträgern und die Menge die noch ausgestossen werden kann, soll die 2°-Grenze mit 80% Wahrscheinlichkeit nicht überschritten werden (Restbudget). Daten: Carbontracker, Graphik: Felix Müller
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Das Problem mit den Fossilen ist: Diese „Ressourcen“, genau genommen sogar schon die Reserven, sind alles andere als knapp. Wären die fossilen Energieträger knapp, wären sie erstens nicht billig und zweitens müssten wir uns nicht um Klimawandel sorgen. (Wir könnten dann zum Beispiel auf die Malediven fliegen, statt Blog-Artikel zu schreiben oder welche zu kommentieren.)
(Im oben stehendem Diagramm repräsentiert die grosse Fläche nicht wie angegeben alle bekannten Vorkommen, sondern nur einen Teil der Reserven, also der ökonomisch erschliessbaren Vorkommen — den schon lizenzierten oder umgehend lizenzierbaren Teil der Reserven.)
Es wäre schön, wenn sich vermehrt Greenpeace-Schweiz nahe Menschen mit dem Problem Klimawandel wirklich beschäftigen würden. (Mit der physikalischen Gegebenheit, nicht nur als angeblicher Kampagneninhalt. Der Klimawandel findet statt, es wird sich nichts Gegenteiliges „erweisen“.) Dann würde dieses seltsame, schädliche und leider schon mehrfach gehörte (die-Fossilen-sind-knapp-)Statement verschwinden — in den Greenpeace-Schweiz nahen Kreisen zumindest mal — und wir wären einer Lösung des Problems Klimawandel einen winzigen Schritt näher.
Ein weiteres Missgeschick im Artikel ist die Suggestion (so empfinde ich den Text), dass die Schweiz sich im internationalen Kontext schon ok verhält, aber halt besser werden sollte, vorbildlich(er). Dass sie vorbildlich sein sollte, kann zugestimmt werden, dass die Schweiz sich ok verhält, ist dagegen anders einzuschätzen. Die Schweiz ist, gerade jetzt in Lima, oder bei der gerade abgeschlossenen Diskussion im Nationalrat, eine Bremsernation — auf jeden Fall gemessen an unseren Möglichkeiten, zum Beispiel Kaufkraft.
Zu den anderen, geschätzten Inhalten von Kunos Blog-Artikel: Es ist leider tatsächlich so, dass beim Klimawandel gilt: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Das kann sich nur ändern, wenn die, welche wollen, dass sich alle bewegen, jene aktiv schikanieren und bekämpfen, die sich nicht bewegen wollen, so sehr, dass sie etwas Wichtiges verlieren, wenn sie nicht mitmachen. Das ist auch in den von Elinor Ostrom untersuchten Fällen so. In informellen Gesellschaften gibt es viel soziale Kontrolle, brutal viel sogar, wer nicht kuscht, wird diskriminiert bis zum geht-nicht-mehr, bis hin zu Ausgrenzung und Verstoss. (Man braucht sich nur das Wallis oder Graubünden vor Augen zu führen, um eine Ahnung zu erhalten, wie es in kleinen Gesellschaften früher war.)
Dass die Schweiz dabei mitmachen würde, sich massgeblich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, wo wir doch als Land im internationalen Kontext äusserst viel Dreck am Stecken haben (Banken, Rohstoffe, Steuerklau, u. a.), und darum am zwischenstaatlichen Nichteinmischungsprinzip interessiert sind, dahin ist leider ein sehr weiter Weg. Er ist so weit, dass, ehrlich gesagt, Zweifel angebracht sind, ob er überhaupt beschritten werden sollte. Hinzu kommt natürlich, dass unsere Druckmittel als Land sehr beschränkt sind. Eher werden die anderen Länder die Schweiz erfolgreich unter Druck setzen als umgekehrt, daraus erklärt sich wohl auch die Haltung der Schweiz als Bremsernation beim internationalen Klimaschutz.
Kuno hat recht: Alles fängt damit an, dass wir begreifen, dass die Luft, das Klima, der „Himmel“ sozusagen, uns allen gehört, auch Kuno und mir — und dir. Und, dass wir deshalb legitimiert sind, uns (aus Eigennutz) für Klimaschutz einzusetzen. Wir sind auch, wenn nicht sogar verpflichtet, dann jedenfalls legitimiert, diejenigen zu bedrängen, die nicht mitmachen wollen — aus Eigennutz, auch sie. Andere Länder zu bedrängen, täte Not, aber dazu ist die Schweiz äusserst schwach legitimiert. Darum besser mit den Bremsern hierzulande anfangen.
Aber, von wegen «Who Owns the Sky?» (lesenswert), es gibt es schon etwas, worin die Schweiz beim Klimaschutz vorbildlich ist und wenn die Schweiz aus zweifachem Grund nicht Druck machen kann, dann ist vorbildlich zu sein die verbleibende Option. Nämlich gibt es ein Konzept, wie wir mit Gemeingütern umgehen könnten, beim Himmel angefangen. Das Konzept ist für grosse anonyme Gesellschaften tauglich. Es ist aber nicht schikanös sondern sogar vorbildlich fair. Es ist eine Schweizer Erfindung. Vor allen anderen Nationen haben wir es im Jahr 2000 ins CO2-Gesetz geschrieben. Wenn uns andere Länder das nachmachen — besonders, wenn sie es besser machen als wir — dann sähe vieles viel besser aus. Diesen Weg zu beschreiten, dafür einzustehen, macht meines Erachtens Sinn, auch um die wirklich knappe Ressource Arbeitskraft zu schonen. Das Konzept, wir nennen es Ökobonus, könnte sogar zu einer „offensichtlichen“ internationalen Lösung führen.
Nachtrag:
Bundesrätin Doris Leuthard liess in einer Medienmitteilung gerade verlauten, sie plädiere „in Lima für ehrgeizigere Ziele“ und schlägt vor: „Die aktuellen Subventionen für fossile Energien von rund 540 Milliarden US Dollar sollten abgebaut werden“. In derselben Medienmitteilung heisst es ganz zum Schluss: „Das Emissionsreduktionsziel [der Schweiz für ein neues internationales Klimaschutzabkommen] für die Zeit bis 2030 wird im März 2015 bekanntgegeben.“ So spät wie möglich — natürlich, denn wer sich zuerst bewegt, verliert. Es wäre schön, wenn Doris Leuthard ihre Rhetorik vermehrt mit ihren Taten in Übereinstimmung brächte, oder lieber umgekehrt. Ihr Einsatz für die Gaspipeline TAP (Axpo) oder ihr Einstehen für problematische Bundsuntertützung zum Bau von fossilen Kraftwerken durch Schweizer Energieunternehmen im Ausland (1,6 Gigawatt davon Kraftwerke der Axpo in Italien, wo die TAP hinführt) sind nicht vergessen. Leuthard war in ihrer Zeit als Nationalrätin im Verwaltungsrat der Auslandbranche der Axpo.