Der Bundesrat schlägt ein Klima- und Energielenkungssystem vor und will es in der Verfassung verankern. Die Frist zur Einreichung von Antworten auf die entsprechende Vernehmlassung ist der 12. Juni 2015. Da der Vorstoss vom Bundesrat ausgeht, ist die Chance auf Umsetzung intakt. Dieser Beitrag beurteilt das politische Umfeld und stellt eine konkrete Antwort auf die Vernehmlassung vor.
Bei Gelingen des geplanten Plebiszits wird das Prinzip der Lenkung in der Verfassung verankert, was den bisherigen harzigen Bemühungen, Lenkungsabgaben umzusetzen, eine wertvolle Grundlage gibt. Als Initiative des Bundesrats hat die Vorlage bessere Chancen an der Urne als die Volksinitiativen, die bisher alle scheiterten. Eine Erfolgsgarantie gibt es jedoch auch für den geplanten Verfassungsartikel nicht.
Eine Umfrage in der Anfangsphase der Diskussionen um Lenkungs- oder Förderabgaben hatte ergeben: Unter denjenigen, die sich für das Thema interessieren, will ein Drittel klar Lenkungsabgaben aber keine Förderung. Ein weiteres Drittel will Förderabgaben aber keine Lenkung. Das dritte Drittel ist unentschieden oder für beide Ansätze offen. Die Meinungen darüber, ob Förder- oder Lenkungsabgaben das Mittel der Wahl sind, gehen auseinander.
Lenkung ist volkwirtschaftlich der Förderung überlegen, darüber herrscht unter Ökonomen praktisch Einigkeit. Aber es gibt auch eine politische Ökonomie: Auf der Seite der Fürsprecher von Förderabgaben gibt es Vertreter von Partikulärinteressen, die sich entsprechend stark für ihr Anliegen einsetzen, während von einer Lenkungsabgabe mit Ökobonus (pauschale Rückverteilung der Erträge pro Kopf) niemand selektiv profitiert. Lenkungsabgaben politisch durchzusetzen, ist nicht zuletzt darum schwierig. Die Erfahrung lehrt es.
Der erste grosse Anlauf für Lenkungsabgaben, die Energie-Umwelt-Initiative der SPS, wurde durch die Initianten zurückgezogen. Das war im Jahr 2000 gewesen. Dem Gegenvorschlag versagten Volk und Stände an der Urne klar die Gefolgschaft. Gleichzeitig zur Abstimmung stehende Vorlagen für Förderabgaben schafften die Hürde auch nicht, erreichten aber ein Achtungsresultat an der Urne („Solar-Rappen“-Initiative und Gegenvorschlag).
Das CO2-Gesetz, das damals eine reine CO2-Lenkungsabgabe mit vollständiger Rückverteilung vorsah, wurde kurz darauf ohne Referendum, also ohne Einbezug der Bevölkerung, in Kraft gesetzt. Allerdings sah schon diese erste Fassung des CO2-Gesetzes primär freiwillige Massnahmen vor. Die Folge war ein Potpourri von Übersprungshandlungen, Ausnahmen, Komplikationen und Verzögerungen. Eine Abgabe auf Brennstoffe wurde erst 2008 eingeführt, obschon die ins Gesetz geschriebene Indikation lange vorher gegeben war. Und bis zu ein Drittel der Einahmen wurde einer Teilzweckbindung für Fördermassnahmen unterworfen. Eine Treibstoffabgabe im Rahmen der CO2-Gesetzgebung bleibt bislang Wunschdenken.
Eine Initiative der Grünen für eine Lenkungsabgabe (‚Energie statt Arbeit besteuern‘), sie war schon 1996 eingereicht worden, wurde von der SPS nicht unterstützt und 2001 an der Urne sehr deutlich verworfen. Historisch gesehen ist die Unterstützung von Lenkungsabgaben durch die Stimmbürger, und durch andere Parteien mit im Prinzip denselben Interessen, durchzogen — gelinde gesagt. Doch damit nicht genug:
Den Grünliberalen wurde kürzlich für ihren Vorschlag, die Mehrwertsteuer zu Gunsten einer Lenkungssteuer abzuschaffen, die politische Gefolgschaft fast komplett verweigert, was mitunter zu einer schweren Niederlage an der Urne führte. Das Hauptargument der Gegner: Ein Erfolg der Abgabe würde schliesslich zu einem Verlust von Steuereinnahmen führen.
Das Trauma des Abstimmungsresultats war noch nicht überwunden, als der Bundesrat kurz darauf seinen Vorschlag für ein Klima- und Energielenkungssytem präsentierte. Bis dahin war das Projekt beim Bund als „Ökologische Steuerreform“ bezeichnet worden.
Während der Entwicklung dieser „Ökologischen Steuerreform“, hatte für die Bundesverwaltung die Reduktion bestehender, volkswirtschaftlich suboptimaler Steuern weit oben gestanden. Von diesem Anliegen ist nichts mehr übrig geblieben, vielleicht wegen der wuchtigen Ablehnung der Energie-statt-Mehrwertsteuer Initiative. Der Bund setzt nun wieder auf ein Lenkungssystem mit 100%-Ökobonus, also die vollständige Rückverteilung der Erträge aus den Abgaben.
Der Vorschlag des Bundesrats sieht vor, mit der Lenkungsabgabe Förderbeiträge für erneuerbare Energien, Technologieentwicklung und Effizienzmassnahmen mit zeitlich scharf definiertem Ablaufdatum zu beenden. Er legt aber keine klaren Eckwerte des Lenkungssystems fest.
Diese Absicht hat deutliche Reaktionen der Umweltverbände provoziert. Unter dem für WWF-Verhältnisse eher reisserischen Titel Energielenkungssystem: ein gefährlicher Blindgänger schrieb der WWF Schweiz in einer Medienmitteilung: „Zuerst muss das KELS [Klima- und Energielenkungssystem] andere Instrumente für Energiewende und Klimaschutz erwiesenermassen überflüssig machen, bevor diese Instrumente [Förderabgaaben] abgeschafft werden.“
Die Hoffnung des Vordenkers Rudolf Rechsteiner, die gleichzeitige Promotion von Lenkungs- und Förderabgaben würde symbiotisch wirken, muss aufgegeben werden. Einen „Zweispänner“ hatte Rechsteiner es genannt, entsprechend dem Bild zweier Pferde, die dasselbe Fahrzeug ziehen. Nur, die Pferde waren nie ein Team gewesen. Das eine Pferd, die Lenkung, lahmte fast stets und das andere, die Förderung, bockte, wenn die Lenkung ausnahmsweise nicht lahmte. Genau so ist es nun auch wieder.
Dass die Befürworter von Förderabgaben und die Befürworter von Lenkungsabgaben motiviert und gleichzeitig in die gleiche Richtung arbeiten, ist eine Illusion, der man sich nicht länger hingeben sollte. Besser als ein Zweispänner sind zwei getrennte Fahrzeuge. Sie sind im Prinzip Konkurrenten. Aber als solche können sie sich gegenseitig beflügeln — sofern sie sich nicht gegenseitig behindern.
Dass dieses politische Konzept funktionieren kann, erleben wir im Zusammenhang mit dem aktuellen Vorschlag des Bundesrats, ein Klima- und Energielenkungssystem in der Verfassung zu verankern. Der Entwurf des Verfassungsartikels geniesst (vorläufig, vordergründig) die Unterstützung der „Economiesuisse“ unter der Voraussetzung, dass der Bund die Förderung liquidiert. Der Industrieverband will sich also des Vorstosses bedienen, um die Förderung abzuschaffen. Ob die „Economiesuisse“ (ein unpassender Name, denn es handelt sich um einen Verband der besonders kräftige Partikulärinteressen vertritt) die Lenkungsabgaben auch akzeptiert, wenn es um deren Umsetzung geht, ist jedoch mehr als fraglich.
Das Beispiel zeigt aber, dass wichtige Unterstützung für Lenkung dann zu gewinnen ist, wenn bleibende Förderung im Raum steht. Wer Lenkung will, profitiert politisch davon, dass es Förderung gibt.
Die Wind- und Sonnenenergie haben eindrückliche Kostenreduktionen erfahren — beinahe bis hin zur echten Marktfähigkeit schon jetzt. Dies geschah dank erheblicher Förderung anderswo. Nun sollten diejenigen, die Förderung auch bei uns wollen, einsehen, dass sie mit Lenkung zusätzliche Unterstützung bekommen, weil Lenkung indirekt fördert. Sie sollten nach Lenkungsabgaben schreien. Sollte der Vorstoss für Lenkung scheitern, ist es richtig und wichtig, noch lauter Förderung zu verlangen — zusammen mit Vorschriften, bitte. Wenn Subventionen für Klimaschutz und Energiewende (oder einschneidende Vorschriften dafür) stark im Rennen sind, hat die kostengünstigere und einfachere Lenkung politisch eine Chance — nur dann. Das war in der Schweiz bisher immer so.
Auf der Grundlage der oben stehenden Überlegungen wurde eine Antwort auf die Vernehmlassung ausgearbeitet. Sie will das Lenkungssystem als zentrale Massnahme etablieren. Abgeschwächte Förderung, oder gar keine mehr, soll es aber nur geben, wenn dank dem Lenkungssystem ausreichend hohe Ziele erreicht werden. In der Einleitung zur Antwort steht:
“ Lenkung sollte das zentrale System zum Schutz der Umwelt sein. Mittels Abgaben finanzierte Subventionen (ebenso wie Vorschriften) sind erst dann knapp zu bemessen, zu reduzieren oder sogar aufzuheben, wenn die Lenkungswirkung diese anderen Massnahmen verzichtbar gemacht hat. „
Die Stellungnahme fordert nicht nur einen bedingten Erhalt von Fördermassnahmen, sondern unter Umständen sogar ihre Verstärkung:
“ Scheitert der Artikel 131a an der Urne oder gelingt es nicht, ein ausreichend wirkungsvolles Lenkungssystem bald umzusetzen, muss die Förderung stark ausgebaut werden, besonders die Förderung der Stromproduktion aus neuen erneuerbaren Energien. Auch Verbote und Effizienzvorschriften sind in diesem Fall auszubauen. „
Die Economiesuisse soll mit ihrem durchschaubaren Plan, bestehende Förderabgaben abzuschaffen, aber die Umsetzung des Verfassungsartikels für ein Lenkungssystems anschliessend dennoch zu torpedieren, keinen Erfolg haben.
Die Krux des vorgeschlagenen Verfassungsartikels
Der Vorschlag des Bundesrats will zwei grundverschiedene Anliegen abdecken: Umweltschutz einerseits und eine sichere, zukunftsfähige Versorgung mit Energie andererseits.
Wenn wir aus Gründen der Versorgungssicherheit ein anderes Energiesystem wollen, oder wegen der Versorgungssicherheit ein eigenes System wollen, statt Energie zu importieren, sollte der Umbau des bestehenden Systems aus dem allgemeinen Staatshaushalt finanziert werden. Es gibt keine Ursache, ein Verursacherprinzip anzuwenden, weil es in diesem Fall keinen Verursacher gibt. Darum gibt es keine eindeutige Ursache, Abgaben zu erheben, um die Förderung zu finanzieren. (Man könnte argumentieren, dass die Energiekonsumenten den Umbau des Energiesystems finanzieren sollen. Aber dies greift zu kurz. Eine sichere Energieversorgung ist primär im Gesamtinteresse des Landes.)
Wird hingegen die Umwelt belastet oder zerstört, gibt es Verursacher, die besonders zur Kasse kommen müssen. Und es gibt ein Anrecht auf eine Rückverteilung, auf die Rente, die entsteht, wenn die Nutzung von Gemeingut durch Abgaben eingeschränkt wird. Jeder hat gleichermassen Anrecht auf das Gemeingut Umwelt und damit gleiches Anrecht auf die Rückverteilung, die „Rente“. Haussanierer und Solaranlagenbauer haben hingegen kein besonderes Anrecht auf diese Rente.
Besser wären zwei Verfassungsartikel — entsprechend zweier Fahrzeuge. Damit könnte klargestellt werden, welches der beiden Anliegen mittels Lenkung erreicht werden soll (der Schutz des Gemeinguts Umwelt) und welches wenn nötig mittels Förderung zu erreichen ist (eine sichere Energieversorgung).
Der Kern des Verfassungsartikels, der den Bund ermächtig, Lenkungsabgaben zum Schutz von Umwelt und Mensch zu erheben, könnte kurz und knapp sein. Etwa so:
Der Bund erhebt Abgaben zur Vermeidung unerwünschter Emissionen. Die Erträge der Abgaben werden unabhängig von Zahlungsverpflichtungen gleichmässig an die Bevölkerung verteilt. Die Höhe der Abgaben wird durch unabhängige Experten festgelegt.
Drei spezielle Anliegen
Die vorgeschlagene Antwort auf die Vernehmlassung ist umfassend und enthält viele Elemente, die nicht verpasst werden sollten, aber hier nicht speziell erwähnt sind. Drei Elemente der Antwort sind langfristig sehr wichtig, liegen als Forderung aber nicht sehr nahe. Sie werden darum im Folgenden speziell erwähnt.
Gut sichtbare Rückerverteilung der Lenkungsabgabe
Mit dem aktuellen Modell der Rückverteilung des Aufkommen aus Umweltabgaben (über die Abrechnung der Krankenkassenprämien) ist die Rückverteilung fast unsichtbar. Eine gute Wahrnehmung der Rückverteilung dürfte aber für die Akzeptanz der Lenkungsabgabe entscheidend sein. Bundesrätin Doris Leuthard bestätigte die mangelnde Wahrnehmung der Rückverteilung under dem aktuellen Modell selbst. In einem Schreiben an Georg Ziegler, den ersten Förderer von Energieabgaben mit Rückverteilung („Ökobonus“), schrieb sie: „Auch ich stelle immer wieder fest, dass sich viele Leute über die gleichmässige Rückverteilung der Einnahmen an alle Bürgerinnen und Bürger nicht bewusst sind.“
Um diesen anerkannten und gravierenden Mangel zu beheben, sollte die Rückverteilung der Erträge aus den Abgaben über einen Kanal erfolgen, der unabhängig von Zahlungsverpflichtungen ist. Die Rückverteilung über die Steuerrechnung, die der Entwurf des Verfassungsartikels erlauben soll, wäre noch schlechter als die Rückverteilung über die Krankenkassenabrechnung. Ein Schelm, wer glaubt, die Rückverteilung würde sich, wenn als Reduktion der Steuerrechnung kommuniziert, nicht langfristig auf den steuerbaren Betrag selbst auswirken, denn, wer ziemlich viel erhält, kann auch etwas mehr abgeben. (Der 2. Teil der Antwort auf Frage 5 der Vernehmlassung ist sehr ausführlich und darum so aufgebaut, dass einzelne oder mehrere Absätze weggelassen werden können ohne den Zusammenhalt arg zu gefährden.)
Aktive Klima-Aussenpolitik
Der geplante Verfassungsartikel bietet eine willkommene Gelegenheit, den für den Schutz des Klimas vielleicht wichtigsten Punkt in die Verfassung zu schreiben: Klimaaussenpolitik. Als Antwort auf die Frage 3 im Fragebogen zur Vernehmlassung wird vorgeschlagen:
“ Die Beeinträchtigung der internationalen Konkurrenzfähigkeit kann ausserdem dadurch gemildert werden, dass Unternehmen und Treibstoffverbraucher im Ausland auf vergleichbare Weise belastet werden wie in der Schweiz. Der Bund sollte besonders diesbezüglich und für eine CO2-Einpreisung bei Flugtreibstoffen eine aktive Aussenpolitik betreiben. Die Einführung von Artikel 131a ist geeignet, dies in der Verfassung festzuhalten. „
Dies könnte in der Verfassung so formuliert werden:
“ Der Bund setzt sich für preisliche Anreize zur Minderung von Treibhausgasemissionen in anderen Ländern oder für ein internationales Lenkungssystem ein. „
Lenkung kann mehr leisten
Lenkungsabgaben zum Schutz von Umwelt und Mensch müssen nicht auf Klimaschutz beschränkt werden — dies einerseits. Andererseits sollten eigentlich nur problematische Dinge mit Lenkungsabgaben verteuert werden — also nicht „Energie“. Zum Beispiel sollten Probleme wie Risiken, nukleare Brennelemente oder radioaktive Abfälle mit Abgaben verteuert werden — anstelle des an sich sauberen Stroms. Der Verfassungsartikel könnte die Möglichkeit für solche und weitere Abgaben eröffnen.
Wenige weitere Umweltabgaben gibt es bereits. Es wäre logisch, diesen Abgaben gleich auch eine Verfassungsgrundlage zu geben. Die Annahme des Verfassungsartikels wird jedoch schwieriger zu erreichen sein, wenn der neue Artikel viele Punkte umfasst. In der Vernehmlassungsantwort wird darum ein einfacherer aber umfassenderer Ansatz vorgeschlagen — jedoch als Alternative zu einer Formulierung, die näher an der Absicht des Bundesarats ist (in der Frage 2; betr. Abs. 1).
Unterlagen
- Vorgeschlagene Vermehmlassungsantwort als MS Word Dokument. Das Dokument kann als Grundlage für eine eigene Antwort dienen.
- Verfassungsartikel 131a (Vorentwurf des Bundesrats)
- Erläuternder Bericht zum Vorentwurf
Foto: Das Titelbild ist dem erläuternden Bericht zum Vorentwurf entnommen.