Die Idee für eine Klimainitiative ist kurz nach Paris aufgetaucht, heute wurde der Plan erstmals an die Öffentlichkeit gebracht. Sie sei «brandgefährlich», heisst es bereits bei Economiesuisse. Die Leute haben für einmal recht, aber anders herum. Brandgefährlich ist die Gletscher-Initiative nicht für die Industrie in der Schweiz, sondern für den Klimaschutz.
Stefan Häne berichtete heute im Tages-Anzeiger über den Vorstoss, genannt Gletscherschutzinitiative (oder Gletscher-Initiative), des Journalisten und Autors Marcel Hänggi. Die Katze ist damit schliesslich aus dem Sack, wenn auch nicht im Detail.
Was da aber steht, verursacht Gänsehaut. Dieser Satz, das zentrale Anliegen, garantiert eine Niederlage an der Urne wahrscheinlich schon im Alleingang:
«Spätestens Ende 2050 darf kein fossiler Kohlenstoff mehr in Verkehr gebracht werden»
Nachtrag 28. März, 2018
In der Printversion des Artikels auf der Frontseite im Tages-Anzeiger desselben Tages (26.3.) ist diese Aussage ergänzt und damit relativiert:
Ausnahmen sieht die Initiative für den Fall vor, dass «sichere» Kohlenstoffsenken, also etwa Wälder, den ausgestossenen Kohlenstoff der Atmosphäre «dauerhaft» entziehen.
Ausser diesem Satz steht im Artikel über die ‚Gletscherschutzinitiative‘ nichts in Klartext.
Es müsste gerade ein Anliegen der Initiative sein, begreiflich zu machen, dass wir nicht in absehbarer Zeit vollständig auf fossile Energieträger verzichten müssen — und damit zum Beispiel auf Flugreisen und eine produzierende Industrie. Sondern, dass es gilt, unvermeidliche Emission gleich wieder aus der Luft zu nehmen. Die Technologien und das Konzept des ‚Carbon Dioxide Removal‘ (CDR) müssen entwickelt und verbreitet werden, solange es CO2-Emittenten gibt, die gemäss Verursacherprinzip zu echter Kompensation verpflichtet werden können. (Kompensation Stil ‚Climeworks‚ statt ‚myclimate‘.)
Nachher ist es zu spät, weil niemand mehr verpflichtet werden kann, für die negativen Emissionen in die Tasche zu greifen. Gerade dieses Anliegen — CDR durchsetzen, so lange es Emittenten gibt — fehlt in der Diskussion um negative Emissionen fast komplett. Die Initiative steht quer zur Chance, diese wichtige Diskussion endlich anzustossen.
Auch in der Bundesverwaltung wird die Initiative bereits diskret als ‚Extremforderung‘ bezeichnet. Dabei müssten die Emissionen der Schweiz aus fossilen Energieträgern eher vor 2040 auf netto null sein, als erst nach 2050, will sich das Land an den in Paris vereinbarten Zielen orientieren. Aber eben netto auf null, nicht unerbittlich und unflexibel auf null.
Klimaforscher Stefan Rahmstorf darüber, wann Industrienationen wie die Schweiz ihre Emissionen auf netto null reduzieren müssen. (Youtube-Link)
Wohl wegen einer übertriebenen Bewertung des engen Anliegens ‚Divestment‘ durch einige Initianten provoziert der Vorstoss den Widerstand der Finanzindustrie. («Erstens: Bund und Kantone sorgen dafür, dass der Schweizer Finanzplatz kompatibel mit dem Ziel des Pariser Klimavertrags wirtschaftet.») Damit wird die Initiative eindeutig zu einem Selbstmordversuch in Sachen Klimaschutz in der Schweiz.
Das Pariser Abkommen gibt nicht vor, dass die Unterzeichnerstaaten ihre «Finanzplätze» (darunter werden normalerweise primär private Banken und Versicherungen verstanden) dazu anhalten sollen, mit den vereinbaren Klimazielen «kompatibel» zu wirtschaften. 1
Der einzige Passus, der die Ausrichtung von Finanzflüssen gemäss den in Paris vereinbarten Zielen postuliert, steht eher im Widerspruch zu den Forderungen der Initianten, als dass er sie unterstützen würde. Er besagt, dass Geldflüsse für Entwicklungszusammenarbeit die Ziele das Pariser Abkommens unterstützen sollen, postuliert also eigentlich Restriktionen bei der Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit. (Vgl. Anmerkung)
Der Beitrag der Schweiz zur Finanzierung von Klimaschutzmassnahmen in anderen Ländern dürfe nicht zulasten der allgemeinen Entwicklungszusammenarbeit gehen, fordert jedoch die Initiative. Dies sei in Paris nicht vereinbart worden und kaum gesetzlich umsetzbar, werden die Gegner argumentieren und sich über die Munition freuen.
Mit der Forderung dürfte auch mitte-rechts kaum Stimmen zu gewinnen sein, rechtsaussen schon gar nicht. Das wäre aber wichtig, denn selbst die bezüglich Klima relativ aufgeschlossene SPS wird schon wegen der unnötigen und illusorischen zentralen Forderung von null fossiler Energie kaum an einen Erfolg der Initiative glauben.
Wird nicht sehr wesentlich nachgebessert, kommt es wie bei der Abstimmung über ein Grundeinkommen oder derjenigen über eine nationale Erbschaftssteuer. So, wie sie jetzt aufgegleist ist, wird Hänggis Initiative abgelehnt werden.
Wir können nur hoffen, dass der Grund für die Zurückhaltung der Initianten, den Text publik zu machen, dieser ist: Sie ahnen selbst, wie chancenlos ihr Vorhaben aufgrund des bisherigen Texts ist und sie erkennen den Nachbesserungsbedarf.
Das Parlament hat Paris ratifiziert. Der Widerstand dagegen war bescheiden. Dennoch ist es nun wichtig, den Bundesrat zur Umsetzung des Pariser Abkommens zu verpflichten und mit der nötigen Kompetenz auszustatten, notfalls mit einer Initiative.
Wollen wir uns aber nun ein Abstimmungsresultat leisten, das fast zwingend als Ablehnung von Paris interpretiert werden würde? Die Schlagzeile als Resultat eines Abstimmungssonntags könnte dereinst heissen: Die Schweizer Bevölkerung lehnt die Umsetzung des Pariser Abkommens ab!
Wer sollte das wollen? Wer will auf ein solches, zerschmetterndes Verdikt des Souveräns hinarbeiten? Ich nicht. Ich hoffe, die Umweltorganisationen auch nicht — doch nicht.
Nachtrag 2./3. April 2018
20 Minuten veröffentlichte einen Artikel, der auf demjenigen des Tages-Anzeigers beruht, und machte eine Umfrage. Es würden aufgrund dieser nicht repräsentativen Umfrage — und der unvollständigen Beschreibung im Artikel — nur wenige die Initiative annehmen. Viel besser schneidet die Initiative in der Umfrage des Tages-Anzeigers ab, wobei die Fragen so gestellt wurden, dass sich daraus Zustimmung oder Ablehnung kaum ableiten lassen.
Nachtrag 28.5.2018
Hinsichtlich der Vernissage seines neuesten Buchs hat Marcel Hänggi einen Initiativtext online publiziert. Forderungen an die Finanzwirtschaft fehlen in diesem Entwurf (eingesehen 28.5.18). Dieser weiterhin als «provisorisch» bezeichnete Text würde eine differenziertere und gründlichere Kritik ermöglichen.
Anmerkung
Der Wortteil „Finanz“ kommt im Übereinkommen von Paris oft vor, stets aber in Zusammenhang mit Entwicklungshilfe, Entschädigungen oder Ausgleichszahlungen, wie Beihilfen für Klimaresilienz oder -adaption. Der Absatz im Klimaabkommen von Paris, der die Finanzindustrie betrifft, lautet:
Dieses Übereinkommen zielt darauf ab, durch Verbesserung der Durchführung des Rahmenübereinkommens einschliesslich seines Zieles die weltweite Reaktion auf die Bedrohung durch Klimaänderungen im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung und den Bemühungen zur Beseitigung der Armut zu verstärken, indem unter anderem […] c) – die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung.
Dies steht in Artikel 2, des Klimaübereinkommens von Paris und behandelt zweifellos das gravierende und notorische Problem der Finanzierung von klimaschädlicher Infrastruktur durch staatliche und internationale Entwicklungsbanken, nicht die private Finanzierung — welche allerdings auch sehr problematisch, weil oft ausgesprochen klimaschädlich ist.
^ zurück zum Haupttext
Titelbild: Ausschnitt des Titelbereichs des kommentierten Artikels des Tages-Anzeigers mit der Ergänzung (Montage): « … und Hüftschüssen»
Das Ziel, dass „die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung“ steht auf gleicher Ebene wie das Temperaturziel und ist damit integraler Bestandteil des Abkommens.
Das Pariser Abkommen ist in einer UNO-Sprache verfasst, die das Ziel der weltweiten Reaktion auf die Bedrohung durch Klimaänderungen in einen Zusammenhang stellt mit nachhaltiger Entwicklung und den Bemühungen zur Beseitigung der Armut. Dies mindert die globale und umfassende Bedeutung des Temperaturziels und des Ziels zur Umlenkung der Finanzflüsse keineswegs.
Wie sollte es jemals möglich sein nur mit Entwicklungsgeldern die Finanzflüsse mit dem Klimaschutz in Einklang zu bringen während die Investitionen der Banken, Versicherungen und Pensionskassen weiterhin Milliardensummen in Kohleminen, Erdölbohrungen und Erdgaspipelines stecken? – Alle Akteure des Finanzplatzes sind nötig, um das „Finanzflüsse umlenken“ Ziel des Pariser Abkommens umzusetzen. Dies sieht auch das BAFU so: „Im Kontext des Klimaübereinkommens von Paris haben das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) Schweizer Pensionskassen und Versicherungen dazu eingeladen, die Klimaverträglichkeit ihrer Portfolien testen zu lassen.“ Siehe: https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wirtschaft-konsum/mitteilungen.msg-id-68482.html
Danke, Christian, für deinen Kommentar. Der Einwand, das Pariser Abkommen sei in einer UNO-Sprache verfasst, die das Ziel der weltweiten Reaktion auf die Bedrohung durch Klimaänderungen in einen Zusammenhang stellt mit nachhaltiger Entwicklung und den Bemühungen zur Beseitigung der Armut, ist zweifellos richtig. Hinweise auf nachhaltige Entwicklung und Bemühungen zur Beseitigung der Armut sind im Pariser Abkommen tatsächlich omnipräsent. Einen solchen Hinweis gibt es auch am Ende des ersten Absatzes von Artikel 4, dem Absatz wo steht: «… to undertake rapid reductions thereafter in accordance with best available science, so as to achieve a balance between anthropogenic emissions by sources and removals by sinks of greenhouse gases in the second half of this century, …». Streng gelesen heisst es in diesem wichtigen Absatz also eigentlich, die Treibhausgaskonzentrationen (pauschal alle) seien zu stabilisieren, nicht die Emissionen auf null zu bringen, obschon normalerweise die Interpretation von netto null Emissionen überwiegt — jedenfalls bzgl. CO2. Es ist ja auch von «reductions», nicht von «elimination» die Rede. Bezüglich CO2 ist klar, dass netto null Emissionen dennoch (jedoch) die richtige Interpretation ist, soll die Zielvorgabe relevant sein, und sie ist im gleichen Absatz eingangs erwähnt: «In order to achieve the long-term temperature goal set out in Article 2, …». Es gibt aber keinen Grund in einer Initiative mehr zu verlangen, als netto null. (Aber es gibt gute Gründe, zu erklären, dass verzugsfrei aus der Luft genommen werden muss, was emittiert wird; Das Verbot fossile «in Verkehr zu setzen» ist unnötig und übertrieben.) V.a. gibt es keinen Grund, ein Volksnein zu provozieren, nachdem das Parlament Paris ratifizieren liess, einschliesslich des zitierten ersten Absatzes von Art. 4. Aber, statt des Anliegens Gletscherschutzinitiative gäbe es gute Gründe, einen Initiativtext auszuhecken, der gezielt die Mängel des bundesrätlichen Vorschlags zur Revision des CO2-Gesetztes adressiert. Ich bezweifle aber, dass die USOs Lust auf und Kraft für mehrere Klima-Initiativen haben.
Was deine Frage betrifft («Wie sollte es jemals möglich sein nur mit Entwicklungsgeldern die Finanzflüsse mit dem Klimaschutz in Einklang zu bringen während die Investitionen der Banken, Versicherungen und Pensionskassen weiterhin Milliardensummen in Kohleminen, Erdölbohrungen und Erdgaspipelines stecken?»): Ja, stimmt, damit allein, ist kein vernünftiges Klimaziel zu erreichen. (Das einerseits. Andererseits: Ab 2020 müsste aufgrund von Paris definitiv Schluss sein mit Knete für Pipelines etc. aus Entwicklungsbanken, das ist da doch auf jeden Fall mindestens zu lesen.) Aber wie die Finanzflüsse mit dem Klimaschutz in Einklang zu bringen? Diese Investitionen müssen uninteressant werden. So lange sie grosse Renditen abwerfen, werden die Investoren Geld für fossile Investitionen finden, auch ohne Pensionskassen oder Versicherungen, sogar auch ohne traditionelles Bankengeschäft. Es gibt mehr als genug Private Equity, welches einzuschränken wohl höllisch schwierig wäre. Der Divestment-Ansatz, so knackig er ist und so auffällig er daherkommt, ist ein interessantes Nebengeleise, aber eben ein Nebengeleise. Ich finde es erstaunlich und bedauerlich, dass man bei der Schweizer Klima-Allianz das nicht so sieht.
Was den Aspekt Finanzplatz und die verlinkte Information des BAFU betrifft: Auffällig, aber leider wenig überraschend ist doch, dass dort eingangs steht: «Der Bundesrat zählt dabei auf freiwillige Massnahmen der Finanzbranche … » und ausgangs wird angedeutet, welches die wohl primäre Sorge des BR ist, nämlich, dass die Finanzwirtschaft Risiken eingeht, weil sie nicht mit Paris kompatibel wirtschaftet. Dass diese Finanzwelt dabei zur globalen Temperaturerhöhung beiträgt, wage ich zu behaupten, ist dem BR mehrheitlich reichlich egal.